„USA sollten nicht alles blockieren können“

Das Vetoprinzip in der UNO muss abgeschafft werden, fordert der grüne Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit. Und in die Welthandelsregeln der WTO sollten auch die internationalen Verträge zur Umwelt und Arbeit integriert werden

DANIEL COHN-BENDIT, 62, geboren in Frankreich, führte 1968 die Mairevolte in Paris an. 1978 gründete er in Frankfurt das alternative Polit- und Kulturmagazin Pflasterstrand. Heute ist er Chef der Grünen-Fraktion im EU-Parlament. Das will er auch bleiben, wie er kürzlich in einem taz-Interview klarstellte: Die Ambitionen des grünen Parteichefs Reinhard Bütikofer, der ebenfalls ins EU-Parlament wechseln will, sieht er nicht als Gefahr.

taz: Herr Cohn-Bendit, Sie haben gerade in Washington Ihre radikalen Ideen für eine UN-Reform präsentiert. Aber in den USA interessiert man sich momentan eigentlich nur für die Vorwahlen und die Rezession. War Ihr Vorstoß da nicht ein wenig abseitig?

Daniel Cohn-Bendit: Es war tatsächlich eine politische Provokation, eine multilaterale Version vorzuschlagen. Ich wollte mal ausprobieren, wie außenpolitisch versierte und offene US-Amerikaner darauf reagieren, die in den Washingtoner Denkfabriken arbeiten.

Man hat Sie ganz freundlich für verrückt erklärt. Denn Sie fordern eine „global governance“, die sich nicht automatisch den Interessen der USA unterwirft…

… was für Amerikaner unvorstellbar ist! Die Reaktionen geben mir eine Ahnung davon, wie schwierig es sein wird, eine solche Vision durchzusetzen. Ich halte sie aber für absolut notwendig.

Was genau schlagen Sie vor?

Erstens sollten alle internationalen Verträge zur Umwelt und zur Arbeit in das Regelwerk der Welthandelsorganisation WTO integriert werden. Der Welthandel müsste sich also künftig den Kriterien der Nachhaltigkeit und einer sozialverträglichen Entwicklung unterwerfen. Zweitens bin ich der Meinung, dass die Vereinten Nationen und der UN-Sicherheitsrat Ausdruck einer veralteten Weltordnung sind, wie sie am Ende des Zweiten Weltkrieges vorzufinden war. Seien wir doch ehrlich: Die Sicherheitsratsmitglieder Frankreich oder Großbritannien sind allein doch gar nicht mehr vetofähig. Das sind nur noch die USA und die Russen, gemeinsam mit den Chinesen.

Kommen Sie jetzt mit dem Wunsch der früheren rot-grünen Regierung an, einen Sitz für Deutschland im Sicherheitsrat zu fordern?

Einen Sitz für Deutschland finde ich falsch. Europa sollte einen Sitz erhalten.

Aber wäre das nicht absurd? Europa hat noch keinen Außenminister und schon gar keine gemeinsame Außenpolitik.

Das Umgekehrte gilt: Ein europäischer Sitz würde die Position eines europäischen Außenministers stärken und den Zwang für die Europäer erhöhen, sich außenpolitisch zu einigen. In den EU-Verträgen steht doch längst drin, dass jedes EU-Mitglied sich vor der Ratifizierung internationaler Verträge mit den übrigen EU-Mitgliedern koordinieren muss. Die Frage ist nur, wie wir diesen Prozess beschleunigen.

Sie haben offenbar einen Vorschlag?

Wir müssen bei der Erderwärmung ansetzen. Jeder weiß, dass eine Kurskorrektur nur global möglich ist. Daher müssen wir zunächst die internationalen Konventionen zur Umwelt und zur Arbeit in die WTO einbauen.

Man hat Sie in Washington belächelt, weil bereits die EU mit ihren nur 27 Mitgliedstaaten nicht als wirklich handlungsfähig erscheint.

Natürlich muss sich die EU handlungsfähiger machen. Aber wir alle sind darauf angewiesen, dass wir zu einer sozialökologischen Regulierung der Globalisierung kommen.

US-Politiker glauben zunehmend, dass die Zeit der großen, schwerfälligen, internationalen Organisationen vorbei sei. Stattdessen setzen viele auf „Koalitionen der Willigen“, also kurzfristige Zusammenschlüsse von Staaten mit gleichen Interessen.

Dem liegt eine Vorstellung zugrunde, dass der US-Führungsanspruch gottgegeben und für ewig sei. „Koalitionen der Willigen“ klingt nicht so böse, aber im Grunde sind sie Unilateralismus mit menschlichem Antlitz. Das größte Problem der UN ist doch nicht ihre Größe, sondern die Diskrepanz zwischen demokratischen und undemokratischen Mitgliedstaaten.

Aber wie soll dann die Multipolarität in internationalen Organisationen funktionieren, die Sie vorschlagen?

Ein Staat darf nicht alles blockieren können. In einer mulitlateralen Weltordnung müssten die großen regionalen Zusammenschlüsse und die großen Staaten gleichberechtigte Partner sein. Da würde mit hochqualifizierten Mehrheiten abgestimmt und nicht mit einem Veto. Und für gravierende Entscheidungen wie etwa friedenserzwingende Maßnahmen braucht man eine Dreiviertelmehrheit.

Die USA wenden ein, kein anderer Staat könne im Bedrohungsfall militärischen Schutz bieten.

Die Amerikaner sind verletzt und befinden sich in einer Krise, die sie alleine nicht meistern können. Im Irak kommen sie alleine nicht raus; Afghanistan können sie allein nicht befrieden. Sie müssen feststellen, dass sie bei der Klimapolitik viel zu spät dran sind, ihre Finanzorganisation ist angeschlagen. Nach meiner Reise bin ich umso überzeugter, dass es sehr wichtig wäre, dass Barack Obama die Wahl gewinnt, denn er bedeutet eine Öffnung zur Welt. INTERVIEW: ADRIENNE WOLTERSDORF