„Der Gegenwart auf den Fersen“

Nach 17 Jahren bekommt das Focke-Museum eine neue Leitung. Jörn Christiansen über öffentlich-rechtliche Mogelpackungen, wellenförmige Besucherbewegungen und die Gestaltungslust

Interview: Henning Bleyl

taz: Herr Christiansen, gestern hatten Sie Ihren letzten Arbeitstag. Welche Ausstellung hätten Sie gern noch gemacht?

Jörn Christiansen: Eine über Manieren – die Geschichte des Anstands ist hochspannend. Ich hoffe, dass das Museum die Schau 2009 realisieren kann.

Sie waren der letzte Direktor, der noch die Rückverlegung der Einrichtung in die Innenstadt hätte betreiben können. Eine verpasste Chance?

Eine Großstadt wie Bremen muss es sich leisten können, dass man zu seinem Landesmuseum vom Bahnhof aus zehn Minuten mit der Straßenbahn fährt. Zumal wir als „Museum im Park“ wunderbare Möglichkeiten haben, die wir mit Veranstaltungen wie „Fockes Fest“ auch kräftig nutzen. Die Überlegung, sich wie vor dem Krieg wieder in der Innenstadt anzusiedeln, war jahrzehntelang ein Verhinderungsargument gegen einen vernünftigen Ausbau am Schwachhauser Standort. Insofern ist es gut, dass das mit der erfolgten Komplettsanierung aller Häuser und dem Bau des Schaumagazins endgültig vom Tisch ist.

Das Haus hat von Jahr zu Jahr deutliche Besucherschwankungen, immer in Abhängigkeit von den Sonderausstellungen. Ist das ein sinnvolles System?

Ich störe mich in der Tat an der Fixierung auf Sonderausstellungen, schließlich liegt der Wert eines Hauses in seinen Sammlungen – aber die zu bewerben, ist wesentlich schwieriger. Im Gegensatz zu anderen waren unsere Besucherzahlen jedoch Gott sei Dank nie so in der Diskussion.

Dabei macht mich nachdenklich, dass die Themen „Kultur“ und „Kämpfen müssen“ heute nicht mehr so zusammen gehören wie in meiner Generation. Früher gab es „ZOK“, die „Zentrale Organisation Kunst und Kultur“, dann die Initiative „Anstoß“. Jetzt beschränken sich selbst die „Bremer fünf plus“, der Zusammenschluss der Museen, im Wesentlichen auf die Organisation der „Langen Nacht der Museen“.

Was war Ihr unangenehmster Moment in Bremen?

Als die Voraussetzungen, mit denen ich hierher gelockt wurde, wegbrachen: Ein Neubau wurde plötzlich als nicht finanzierbar bezeichnet. Dabei hätte der Schürmann-Entwurf mit der unter die Erde verlegten 140 Meter langen Galerie einen Bilbao-Effekt haben können. Aber es ging nicht nur um die bauliche Erweiterung, sondern auch um eine bildungspolitische Offensive. In Bremen gibt es ja diese Verspätung, einen cultural lag: Die Diskussionen der 70er wurden hier erst Ende der 80er geführt. Dann aber sollte endlich ein „Museum für Alle“ entstehen.

So eine Enttäuschung haben Sie noch mal erlebt: Als das geplante Hafenmuseum abgeblockt wurde.

Wir hatten viel Arbeit investiert, um zunächst für den Speicher I und dann für den Speicher XI ein entsprechendes Konzept zu entwickeln. Dazu waren wir sogar vom Wirtschaftsressort aufgefordert worden. Die Politik hatte dann Angst vor den Folgekosten und Herr Hübotter musste das Museum privat aufziehen.

Immerhin hat das „Focke“ eine neue Struktur bekommen: Es ist nicht mehr nachgeordnete Dienststelle sondern wird von einer Stiftung öffentlichen Rechts getragen.

Das ist leider eine Mogelpackung, da der Stiftung keinerlei Kapital übertragen wurde. Sie besitzt lediglich die Schreibtische und Vitrinen, aber noch nicht mal die Exponate selbst. Folglich gibt es die gleichen Abhängigkeiten wie zuvor: Wir können unseren Wirtschaftsplan erst im schon laufenden Jahr beschließen, weil der öffentliche Haushalt auch noch nicht verabschiedet ist. Bei allen Sanierungsfragen sind wir immer noch auf die GBI [Gesellschaft Bremer Immobilien] angewiesen, bei der Parkpflege auf Stadtgrün. Nicht ohne Grund gibt es in Hamburg bereits eine Umstrukturierung der Stiftungen.

Was hat Ihnen in Ihrem Beruf am meisten Spaß gemacht?

Dass wir letztlich doch so viele Ideen umsetzen und das Haus zum Beispiel mit dem Schaumagazin zum weithin beachteten Referenzprojekt machen konnten. Es ist auch etwas sehr Besonderes, dass wir unsere Dauerausstellung aus einem Guss erneuern und an der Idee der Verfassungsgeschichte als rotem Faden orientieren konnten.

Der Zuschuss von rund zwei Millionen Euro im Jahr ist seit 1991 eingefroren, in den vergangenen 15 Jahren hat sich die Stellenzahl auf 18 halbiert, davon nur vier wissenschaftliche. Trotzdem hat man im Museum einen Gestaltungsspielraum wie kaum in einem anderen Beruf.

Welche Baustellen erwarten Ihre Nachfolgerin?

Die Infrastruktur reicht für größere Besuchermengen nicht aus – von der Garderobe über die Klos bis zur fehlenden Klimatisierung des Hauptgebäudes. Das inhaltliche Manko des Hauses ist, dass wir die Bremer Geschichte zu Ende erzählen können. Wir nutzen zwar Themen wie Borgward oder die AG Weser als Brücken in die Gegenwart, aber die kontinuierliche Darstellung endet 1947. Dabei ist es für die Besucher extrem wichtig, an die eigenen Erinnerungen anknüpfen zu können. Man bräuchte an die 1.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche mehr, um der Gegenwart wirklich auf den Fersen zu bleiben.