Ein unbeherrschbarer Fall

Ein Stalker macht seine Drohung wahr und erschießt seine Ex-Frau. Deren Familie wirft der Polizei Versagen vor. Die wiederum will alles getan haben – ihre Möglichkeiten seien halt begrenzt

Das Gewaltschutzgesetz (GewSchG) gilt seit 2002: Bei häuslicher Gewalt kann der Täter befristet oder, wenn das nicht hilft, ganz der Wohnung verwiesen werden. Das wird im Eilverfahren verfügt. Auch kann ein Partner verpflichtet werden, stets einen Abstand zum Ex-Partner einzuhalten. Bei Verstößen können Zwangsgeld oder -haft ausgesprochen oder eine Freiheitsstrafe verhängt werden.  KVA

VON KAI VON APPEN

Ali U. ist für seine Brutalität bekannt. Seit Mitte Februar darf sich der 36-jährige Türsteher seiner 33-jährigen Ex-Frau Aysin T. und dem gemeinsamen siebenjährigen Sohn nicht mehr nähern – das verfügte das Amtsgericht Hamburg. Am 5. Februar dieses Jahres lauerte U. seiner Ex-Frau auf, zog sie an den Haaren durch die ehemals gemeinsame Wohnung und verprügelte sie über Stunden. Schließlich drohte er ihr mit einem Messer an der Kehle: „Ich werde dich umbringen.“ Das hatte er zuvor auch schon gegenüber T.s Mutter geäußert.

Am vergangenen Mittwoch nun hat Ali U. die Drohung wahr gemacht: Trotz des gerichtlichen Verbots suchte er Aysin T. in ihrer Wohnung im Hamburger Karolinenviertel auf. Vermutlich nach einem erneuten Streit schoss er ihr mehrmals mit einer Pistole in den Oberkörper. Danach rief er selbst die Polizei. Eine Notärztin konnte nicht mehr helfen, das Opfer verblutete. Ali U. ließ sich widerstandslos festnehmen.

Nicht nur die Tat selbst sorgte in den Medien prompt für Schlagzeilen – mehr noch der Umstand, dass U. als brutaler Stalker eben kein Unbekannter war. Die Familie seiner Ex-Frau macht der Polizei seither schwere Vorwürfe: Sie habe „meine Schwester im Stich gelassen“, klagt etwa Aysins Bruder Ahmad T. an.

Die Ordnungshüter weisen das von sich: „Wir können den Schmerz der Familie nachvollziehen“, sagt Hamburgs Polizeisprecher Ralf Meyer, „aber die Polizei hat alles rechtlich Mögliche unternommen.“ So sei sorgfältig geprüft worden, ob Ali U. bis zu dem zu erwartenden Prozess wegen Bedrohung, Freiheitsentziehung und Körperverletzung in Untersuchungshaft genommen werden könnte, sagt Meyer. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft habe jedoch kein Haftgrund vorgelegen. Deshalb habe die Polizei das gesamte Repertoire des Gewaltschutzgesetzes ausgeschöpft: Im Rahmen von „Gefährdetengesprächen“ sei U. mehrfach „eindringlich davor gewarnt“ worden, seiner Ex-Frau zu nahe zu kommen. Zudem sei ein Aufenthaltsverbot ausgesprochen worden. „Bis auf den Tattag hat er sich sieben Wochen daran gehalten“, sagt Meyer. Und dann sei der 36-Jährige gekommen und habe „gleich geschossen“. Die Polizei sei schlicht nicht in der Lage, gefährdete Frauen „rund um die Uhr“ zu schützen, sagt der Sprecher.

Dem Rat der Polizei, eine Opferschutzorganisation in Anspruch zu nehmen und sich vielleicht eine neue Wohnung zu suchen, sei die Familie nicht nachgekommen: „Wir können nicht einfach ohne Grund jemanden wegsperren“, sagt Meyer.

Das sieht Mechthild Garweg ähnlich. Einsperren greife immerhin „in die Freiheitsrechte den Mannes ein“, sagt die Opferschutz- und Fachanwältin für Familienrecht. Das sei nach dem Gewaltschutzgesetz zwar möglich – aber nur wenn der Mann zuvor gegen die gerichtliche Kontaktsperre verstoße. „Dann kann die Frau einen Antrag auf Zwangsgeld oder Zwangshaft stellen“, sagt Garweg. Sie mache aber immer wieder die Erfahrung, dass die Frauen ihren Ex-Männern „trotz Gewalterfahrungen oft noch sehr nah“ seien. So hatte auch Asysin T. im November eine Anzeige gegen U. zurückgezogen – angeblich hatten sich beide „wieder versöhnt“.

Bedrohten Frauen glaubt Garweg nur raten zu können, den gewalttätigen Männern konsequent aus dem Weg zu gehen: Opfer sollten „lieber vorübergehend ins Frauenhaus ziehen und von dort aus eine neue Wohnung mit geheimer Adresse suchen“. Es sei immer riskant, in der ehemals gemeinsamen Wohnung zu bleiben, die den Männern ja bekannt sei. „Der Typ“, sagt Garweg, „weiß immer, wo du bist.“ Wenn der Mann dann erstmal ausraste, „kann dich kein Gesetz schützen“, fährt die Anwältin fort – und die Polizei könne vorher „auch nichts machen“.