Der große Ringtausch

Morgen verhandeln CDU und GAL über die sechsjährige Grundschule. Bedenken von konservativer Seite lassen sich leicht entkräften – aber es gibt Raum-Probleme, aus denen weitere erwachsen

VON KAIJA KUTTER

In den schwarz-grünen Sondierungsgesprächen Anfang März machte die CDU der GAL ein überraschendes Angebot: eine sechsjährige Grundschule. Über Einzelheiten wird morgen bei den Koalitionsverhandlungen gesprochen. Um diese Verhandlungen nicht zu gefährden, haben sich die GAL-Schulpolitikerin Christa Goetsch und ihre Mitarbeiter bisher zu Detailfragen ausgeschwiegen. Einzig die Zeitung Die Welt wusste zu berichten, dass eine organisatorische Zweiteilung angedacht wird: Weil die Grundschulen auf Anhieb nicht genug Räume und Fachräume für die zusätzlichen 5. und 6. Klassen haben, könnten sie, so ein Planspiel, als eine Art Unterstufe an die weiterführenden Schulen angebunden werden.

Denkbar wäre demnach ein großer Ringtausch: Die Kitas bekommen die zweijährigen Kinder dazu, denn für diese Altersgruppe ist ein Rechtsanspruch geplant. Dafür geben sie die Fünfjährigen komplett an die Vorschulen ab. Die würden dort als „Jahrgang Null“ zusammen mit den Klassen 1, 2 und 3 die vier Jahrgänge der Grundschule bilden. Die Klassenstufen 4, 5 und 6 würden als zweite Stufe an Stadtteilschule oder Gymnasium angedockt. Möglich würden dadurch insgesamt sieben Jahre gemeinsamen Lernens, bevor die Kinder dann nach Schulformen verteilt werden.

Der ganz große Proteststurm blieb bisher aus, die Elternkammer unterstützt die Pläne. Die Vereinigung der Gymnasialelternräte erklärte in einem offenen Brief, man fürchte „das Absinken des Bildungsniveaus leistungsstarker Schüler“. Dem entgegnen Befürworter der kursierenden Pläne, dass Schulstudien zufolge gerade die Gymnasien mit ihrem Frontalunterricht nur auf die Mitte orientiert sind – und es eben nicht fertig bringen, leistungsstarke Kinder zu fördern. Diesem Problem könnte manchen Stimmen zufolge eine gut gemachte sechsjährige Grundschule mit individuellem Unterricht und schon ab Klasse 4 beginnendem Fachunterricht begegnen. Das wird bereits an zwei Modellschulen erprobt.

Einen weiteren Kritikpunkt führte der Deutsche Lehrerverband Hamburg (DLH) an: Die schwarz-grünen Pläne brächten die Abi-Verkürzung an den Gymnasien in Gefahr. Die dafür nötigen erhöhten Anforderungen wie die zweite Fremdsprache könnten „nicht erst im siebten Schuljahr beginnen“, mahnte DLH-Chef Mathias Oehlrich.

Dass Schulzeitverkürzung und längeres gemeinsames Lernen kein Widerspruch sein müssen, belegen die drei Kooperativen Gesamtschulen der Stadt: Dort ist das Abitur nach 12 Jahren eingeführt worden, obwohl die Kinder in der 5. und 6. Klasse zusammenbleiben. „Bei uns lernen die Kinder genauso gut wie in den homogenen Gruppen am Gymnasium“, sagt Gerd Augustin, Leiter der Heinrich Hertz Schule in Winterhude – „und sogar noch mehr, weil sie sozial viel lernen.“ Die zweite Fremdsprache beginne erst in der 7. Klasse und werde dafür dann fünfstündig unterrichtet. Die Erfolgsbilanz lässt sich sehen: Etwa 60 Prozent der Abiturienten hatten ursprünglich keine Gymnasialempfehlung erhalten.

Doch es gibt ein ganz anderes Risiko, dass sich aus dem erwähnten „Ringtausch“ ergibt: Die Frage, ob ihr Kind mit seiner 4. Klasse an eine Stadtteilschule oder ein Gymnasium wechselt, könnte von den Eltern als Vorentscheidung für die weitere Schullaufbahn gesehen werden. Im schlimmsten Fall würde nach einer schlecht gemachten Reform nur um ein Jahr vorgezogen in die Schulformen sortiert: nach Klasse 3.

Diese Bedenken kommen aus Niedersachsen, wo 2003 nach 30 Jahren die so genannten Orientierungsstufen für die 5. und 6. Klassen abgeschafft wurden. Diese Stufen waren entweder an Hauptschulen angekoppelt oder existierten als eigene Schule. „Die Frage, wo das angesiedelt war, prägte die Entwicklungsperspektiven der Kinder“, sagt der niedersächsische GEW-Chef Eberhard Brandt. „Die Hauptschulen hatten eine große Bindewirkung und haben wenig Gymnasialempfehlungen vergeben.“ Das habe eine Studie des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) aus dem Jahr 2001 ergeben. Die eigenständigen Orientierungsstufen hätten dagegen mehr Kinder ans Gymnasium überwiesen. „Das war weitgehend unabhängig von Leistung und sozialem Hintergrund“, sagt Brandt.

Ob Hamburgs Grundschule von morgen an allen Standorten den Kindern die gleichen Chancen bietet – und ob diese Zweiteilung überhaupt wirklich geplant ist: Das wird sich erst nach den Verhandlungen von Schwarz-Grün zeigen.