berliner szenen Loretta und ich

Im Promenadencafé

Der Laden stand unter Feuer, die Gäste störte es nicht, das Schaben auf Kuchentellern ging unvermindert weiter, das Leben in der Jazz-Falle, das wir führten. Kleine Kreise, rührende Sachlagen. Nina hatte sich in die Anonymität verabschiedet, dafür tauchte die schöne Nachbarin wieder auf. Lorettas Narben im Licht der verstaubten Kronleuchter. Schwellen von Loyalität, die zu überschreiten waren. Die seelische Stabilisierung von Bomberpiloten in Angriffskriegen, die Einbrecher im Paradies, in der grenznahen Vorstadt, die Frage „Geld oder Liebe“, die falsch gestellt war, denn Geld war Liebe. Das Schaben und Kratzen, zu dem sich das Löffeln gesellte, die Tränen im Mokka, der gesalzene Kaffee. Meine Libido hatte einen Aussetzer. „Ich krieg keine Lust mehr!“, sagte ich zu Loretta und hielt mir den Hals. Die Liebe, die ich kriegen kann, will ich nicht!

Dieses endlose, zermürbende Warten, die falsche Position, an der Spitze ist es einsam, hier unten auch, dachte ich. Die lange Nacht der Schuldnerberatung. Jemand reichte Zettel herum, niemand wollte sie lesen, die Warnungen wurden wie immer in den Wind geschlagen. „Rituale deprimieren mich auf Dauer“, sagte ich jetzt, Loretta lächelte wild. Wir warteten auf die Verabredung, auf den Mann, das Warten nahm kein Ende. „Gestern kam eine Postkarte aus San Francisco“, erzählte Loretta zum Zeitvertreib. Eine schwankende Brücke im Haar, Menschen vor Raffinerien, ein langsam ertrinkendes Schaf, ein Motorboot und eine Frau im „PONT DU GARDE“ T-Shirt! Wie in Zeitlupe segelte ein Passbild von der Brücke herunter und verschwand im Wasser, trieb ab, floss weg. So oder so wären uns Inseln lieber? Inseln, von denen wir winken könnten, ohne dass uns jemand sieht.

RENÉ HAMANN