Terminologie der Ausgrenzung

betr.: „Lieder für eine Heimat“, taz zwei vom 18. 3. 08

Da selbst die deutsche Gesellschaft gemerkt hat, dass es bei den ganzen Debatten um Einwanderung, Eingliederung und Globalisierung zu einfältig wäre, alle nicht „deutschstämmigen“ oder nicht „reinrassigen“ Einwohner Deutschlands der Kategorie „Ausländer“ zuzuordnen, hat das Statistische Bundesamt prompt einen neuen Terminus herbeigezaubert: den des „Deutschen mit Migrationshintergrund“. In diesen Topf werden alle reingeworfen, die in Deutschland sozialisiert worden sind, aber nicht „reinrassig“ deutsch sind oder reine „deutsche“ Gene haben und nicht hier sozialisiert worden sind und somit nicht das Kriterium eines „echten“ Deutschen erfüllen.

Somit kann man den Migrationshintergrund-Terminus auch mit „Ausländer mit deutschem Pass“ oder im Falle des im Ausland lebenden Deutschen mit „Deutscher mit ausländischem Pass“ paraphrasieren. Und obwohl dieser Terminus die Komplexität der deutschen Gesellschaft berücksichtigen soll, überwiegt doch bei der Beschreibung der „Ausländer mit deutschem Pass“ immer das Wort „Migration“ als der Zusatz „Hintergrund“. Wenn man betrachtet, wer alles unter diese Kategorie fällt, ist es doch fraglich, ob die Medien bei der Verwendung dieses Begriffs wirklich der Komplexität der deutschen Gesellschaft gerecht werden. Dem Statistischen Bundesamt dient es allemal dazu, zu erfassen, wie viel Prozent des „Volkskörpers“ denn noch wirklich deutsch sind. Doch von den Medien, besonders von der sich als kritisch deklarierenden taz, erwarte ich mehr Differenzierung beziehungsweise weniger die Betrachtung der Gene als der verschiedenen Biografien der Deutschen.

Haben junge „Deutschtürken“ der 3. Generation den gleichen Erfahrungshorizont wie Kinder, deren Eltern erst jetzt eingewandert sind? Haben Kinder, deren einer Elternteil deutsch, der andere ausländisch ist, die gleiche Haltung zu Deutschland wie Einwanderer aus Osteuropa mit deutschen Wurzeln? Und wie so typisch für Deutschland wird alles Ausländische problematisiert: „In den gängigen Diskursen zu Migrantenkindern wird ihr Leben als problematisch, unglücklich, aus dem Ruder gelaufen oder durch traditionelle Lebensführung dem deutschen sozialen Umfeld entzogen betrachtet.“ Woran kann das liegen? Sind es die ausländischen Gene, die nicht so hochwertig wie die deutschen Gene sind? Bei der undifferenzierten Berichterstattung der Medien könnte man antworten: ja. Doch leider werden nicht die verschiedenen Biografien der Deutschen mit Migrationshintergrund betrachtet: die Stellung der Eltern, die Sozialisation, die Tradition. Kann man von Kindern, deren Eltern der Unterschicht angehören, erwarten, dass sie aufs Gymnasium kommen? Jedoch trifft dies eben nicht für alle nicht-ganz-deutschstämmigen Deutschen zu: Die Migrationshintergrund-Deutschen sind gerade dann bildungsfern, wenn es die Eltern auch sind, genauso wie bei jedem Deutschen auch. Leider scheinen die Migrationshintergrund-Deutschen den ihnen auferlegten Terminus unkritisch zu übernehmen: und so platzt Bushido in einem Interview bei Kerner heraus: „Ich bin Deutscher“, und fügt dann kleinlaut hinzu: „mit Migrationshintergrund“. Es sollte sich also kein nicht „reinrassiger“ Deutscher trauen, zu behaupten, dass er Deutscher ist, obwohl er etwa wie bei Bushido bei seiner deutschen Mutter aufgewachsen ist und seinen tunesischen Vater nicht kennt – und somit nicht einmal mit der tunesischen Kultur sozialisiert worden ist.

Bei der Debatte um den amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama wird wieder ein Topf aufgemacht: der für die Afroamerikaner. Barack Obama, Sohn eines Kenianers und einer weißen Amerikanerin („Euroamerikanerin“?) wird in diesen Topf geschmissen, ohne jegliche Differenzierung. Dabei ist bei Obama die Identität noch komplexer: Er hat nicht nur „europäisches“ Blut, sondern auch noch einen afrikanischen Vater, und unterscheidet sich durch Letzteres noch mal von den Afroamerikanerin, die nach über 300 Jahren zwar noch immer einer afrikanischen Diaspora zugerechnet werden, aber mit Afrika genauso wenig zu tun haben wie die weißen Amerikaner mit Europa. Doch bei den Medien, wie auch bei der taz findet die Beurteilung Obamas nur über die Hautfarbe statt: Mulatte = schwarz = Afroamerikaner = afroamerikanische Politik = afroamerikanische Wähler. Dabei haben die Vorwahlen in den USA gezeigt, dass Obama nicht nur bei den schwarzen Amerikanern Stimmen hat, sondern auch bei den Weißen, und dass nicht alle Afroamerikaner Obama wählen, weil er eine dunkle Hautfarbe hat. Man sollte eben mehr auf die Inhalte schauen, die sich, genauso wie Obama, nicht in eine schwarze oder weiße Schublade schieben lassen.

Diese zutiefst primitiven Debatten zeigen mir, dass sich seit dem 19. Jahrhundert trotz aller Debatten um Globalisierung, Chancengleichheit etc. in den Köpfen der Menschen, und vor allem in denen, die die Meinung bilden, nicht viel verändert zu haben scheint.

JESSICA POMMER, Tübingen