„Er möchte die USA kennen lernen“

Das Buch des Ex-Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz erscheint diese Woche in den USA. Zur Buchvorstellung muss sein Anwalt allein nach New York reisen. Dafür kommt Kurnaz groß im US-Fernsehen zu Wort: Er spricht Englisch – und trägt keinen Bart

BERNHARD DOCKE, 52, ist Strafverteidiger. Sein prominentester Klient: der Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz. 2006 erhielt Docke für dessen Befreiung die Carl-von-Ossietzky Medaille.

INTERVIEW: CHRISTIAN JAKOB

taz: Herr Docke, Sie reisen am Donnerstag in die USA, um die englische Fassung des Buches von Murat Kurnaz vorzustellen. Begleitet er Sie?

Bernhard Docke: Nein, täte er aber gern. Er möchte die USA kennen lernen.

Das hat er ja in gewisser Weise schon.

Murat Kurnaz differenziert sehr genau zwischen den USA und der amerikanischen Regierung, die ihn nach Guantánamo gebracht und gequält hat. Dass er dort nicht mehr sitzt, verdankt er auch vielen amerikanischen Menschenrechtsorganisationen.

Hätte er denn ein Visum bekommen?

Vermutlich nicht, wir haben es gar nicht erst versucht. Aber selbst wenn: Die Zeiten sind im Moment zu brisant für eine solche Reise.

Wieso?

In ihm personifiziert sich die Debatte um den Umgang mit Gefangenen im so genannten Anti-Terror-Krieg. Ich möchte ihn nicht zur Zielscheibe machen.

Was geschieht am Freitag?

Es gibt eine Veranstaltung in der Public Library in New York. Baher Azmy, der Kurnaz in den USA vertreten hat, wird dort sein und der muslimische Militärgeistliche aus Guantánamo. Patti Smith wollte auch kommen…

die Musikerin?

Ja, sie hat ein Lied für ihn geschrieben und das Vorwort für das Buch. Sie ist aber verhindert.

Ist die englische Übersetzung die erste ausländische Fassung von dem Buch?

Nein, es ist schon in zwölf Sprachen übersetzt und wird selbst in Korea verkauft.

Was tut Murat Kurnaz im Moment?

Er ist sehr beschäftigt mit dem Vertrieb des Buches und einem Film über seine Geschichte. Insgesamt ist das Interesse der Medien an ihm gerade sehr groß. Am Sonntag war er Thema eines langes Features in der Sendung „60 Minutes“ des amerikanischen TV-Kanals CBS. Das war schon etwas Besonderes.

Was ist daran so besonders?

„60 Minutes“ ist das mit Abstand bekannteste politische Magazin der USA. Es war ein sehr kritischer Beitrag. Murat Kurnaz hat zum ersten Mal selbst im amerikanischen Fernsehen gesprochen. Und das auch noch auf Englisch.

Was hat er gesagt?

Er hat seine Folterungen beschrieben. Wie er beim „simulierten Ertränken“ in den Magen geschlagen wurde, damit er unter Wasser einatmet. Oder wie er tagelang an den Händen an der Decke eines Hangars aufgehängt wurde, und alle paar Stunden ein Arzt kam, um das Okay zu geben, dass er weiter gefoltert werden konnte. Solche Dinge.

Warum ist das Thema jetzt wieder so präsent? Es gibt doch gar nichts Neues. Liegt das nur an dem Buch?

Auch. Es dürfte aber auch mit dem Wahlkampf zusammenhängen. Viele stellen den Kandidaten die Frage: Wie geht ihr mit Guantánamo um?

Die übrig gebliebenen Kandidaten haben sich doch längst zu der Frage positioniert.

Das stimmt nicht ganz. Eindeutig Stellung bezogen hat nur Obama. Hillary Clinton sagt, man müsse „genau prüfen“. Keiner weiß, worauf das hinausläuft. Ein klares Statement von ihr gibt es nicht. McCain will Guantánamo zwar schließen – aber nur, um die Gefangenen aufs Festland zu bringen. An ihrem rechtlosen Status will er nichts ändern.