Drückt eure Wünsche aus

Yasuzo Masumura ist einer der großen japanischen Nachkriegsregisseure. Eine Retrospektive im Arsenal zeigt nun acht Filme des Anarchisten, der die japanische Filmindustrie zerstören wollte

Lasst uns das Aschgrau der Unterdrückung abstreifen

VON DETLEF KUHLBRODT

Japan ist das Land des Sehens. Erstaunlich, wie viele großartige japanische Regisseure es gibt, noch erstaunlicher, dass jedes Jahr neue Altmeister präsentiert werden, die im Westen beinahe unbekannt geblieben sind: 2006 präsentierte das „Internationale Forum des Jungen Films“ den Altmeister Nakagawa Nobuo, 2007 war es Okamoto Kihachi, in diesem Jahr ist es Wakamatsu Koji. Nun zeigt das Arsenal eine Retrospektive mit acht Filmen von Yasuzo Masumura.

„Masumura (1924–1986) ist ein offenes Geheimnis des japanischen Kinos, dessen bescheidene Haltung gegenüber seinem Metier u. a. dazu führte, dass er im Westen kaum wahrgenommen wurde“, heißt es in einem Text des österreichischen Filmmuseums. Sein Hauptwerk – an die sechzig Filme – entstand zwischen 1957 und 1969.

Der Generationsgenosse von Kobayashi, Suzuki und Okamoto gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der Filmrichtung des sogenannten Taiyozoku-Genres (wörtlich: „Abkömmlinge der Sonne“), das die Generation der 50er-Jahre-Jugendlichen beschreibt, die den Krieg nicht mehr bewusst miterlebt hatte. Die Vertreter dieses Genres, das später fließend in die japanische Nouvelle Vague (Oshima, Shinoda usw.) überging, wandten sich gegen die passiven, stillen Charakterdarstellungen der Großmeister (Ozu, Mizoguchi etc.).

Masumura war begeistert von Europa. Dort könne man „ganz lebendig empfinden, dass der Mensch schön und stark ist“, schreibt er unter dem Eindruck seines Studiums (von 1952 bis 1954) am Centro Sperimentale in Rom, wo er unter anderem auf Visconti und Antonioni traf. Und in seiner manifestartigen Schrift „Eine Verteidigung“ (1958) heißt es: „Lasst uns das Aschgrau der Unterdrückung und des Opfers abstreifen und zur prächtigen Grundfarbe der Selbstbehauptung zurückkehren.“ Die herrschende – „von Niederlage und Opfer berauschte, gefühlvolle Darstellung“ sei uninteressant. Statt „den verlässlichen Menschen, der klug die Realität berechnet“, wolle er „den verrückten Menschen zeigen, der schamlos und ohne Rücksicht auf seinen guten Ruf seine Wünsche zum Ausdruck bringt“. Man müsse „die zielstrebige Haltung Jugendlicher oder Liebender, die nicht von ihrer Umgebung in Fesseln gelegt werden“, aufmerksam beobachten; Ziel sei es „das Wollen und die Leidenschaft blutvoller Menschen in übertriebener Weise zu schildern“. Er forderte sogar, das kommerzielle japanische Kino zu zerstören, weil es der Unterdrückung der individuellen Persönlichkeit diene und lediglich mit der literarischen Tradition Japans übereinstimme.

In der Defensive gegenüber dem aufkommenden Fernsehen waren die Filmproduktionsgesellschaften dazu bereit, sich mit derlei unangepassten Ansichten auseinanderzusetzen, und sie ermöglichten es Masumura, eine Reihe von Filmen zu drehen, die für die damalige Zeit ausgesprochen direkt waren. Anders als der „linke“ Oshima blieb der anarchistische Vertreter der Philosophie des „nandemo mite yaro“ (Tu, was du willst) jedoch immer ein Mann des Studiosystems. Zwischen sehr persönlichen Projekten inszenierte er auch scheinbar nebensächliche Arbeiten, um die eher konservativen Daiei-Studios am Laufen zu halten. Das eine schloss das andere nicht aus: Der Thriller „Kuro no Test Car“ (Der schwarze Testwagen, 1962) war so erfolgreich, dass das Studio eine ganze Serie daraus machte.

„Der Kuss“ wiederum erzählt in einem schönen Schwarz-Weiß von jungen Leuten, die etwas ziellos zwischen der japanischen und der westlichen Kultur hin und her schwanken, von Motorradfahren, Strandvergnügen, Rollschuhlaufen im Badeanzug, von Jazz in eleganten Bars. Kinichi und Akiko, die beiden Helden, lernen einander kennen, als sie ihre Väter im Gefängnis besuchen. Der Film ist zugleich ungestüm und jugendlich-melancholisch.

Begeisternd ist die slapstickhafte, bonbonbunte, kapitalismuskritische Komödie „Kyojin to gangu“ (Giganten und Spielzeuge, 1958), die vom Kampf dreier Giganten der Karamellbonbonindustrie erzählt, deren Werbeabteilungen mit unglaublichem Aufwand um die Gunst ihrer Kunden ringen und ihre Konkurrenten mit schmutzigen Tricks niedermachen. Auf der Suche nach einer Idee für den kommenden Werbefeldzug treffen Mitarbeiter des Süßwarenkonzerns World auf Kyoko, ein Mädchen aus armen Verhältnissen, das eine lustige Zahnlücke und auffallend schlechte Zähne hat. Um sie für die Kampagne zu gewinnen, befreundet sich einer der Werber mit ihr. Unerwarteterweise wird Kyoko zum Liebling der Massen und beginnt mit der Konkurrenz zu verhandeln.

In den Werbeabteilungssitzungen der Bonbonindustrie fallen deutliche Worte: „We fill their empty heads with our message.“ Dann heißt es sogar: „Use radio, TV and movies to control them – you understand?“

„Geschäftsleute als fanatische Workaholics zu porträtieren war neu und für das japanische Publikum auch schockierend“, schreibt Keiko Yamane in seinem Buch „Das japanische Kino“. Mein Lieblingssatz des Films: „Let’s go somewhere more adult!“

Die Retrospektive ist im April im Arsenal am Potsdamer Platz zu sehen Programm: www.fdk-berlin.de/arsenal