Oh Ordnungsamt!

Am Karl-Marx-Platz

Auf dem Neuköllner Karl-Marx-Platz muss man bei Sonnenschein anstehen, um einen Platz auf einer der Bänke zwischen Altglascontainern und Bronzeskulpturen zu bekommen. Immer deutlicher schält sich aus dem Verkehrslärm eine Tuba heraus, dann eine scharf geschlagene Trommel, ein Akkordeon. Langsam kommt eine fünfköpfige Musikkapelle, Balkanschlager spielend, die Straße hinauf.

Zwei Männer lassen sturzbetrunken das Elektroauto eines Jungen über den Kies an den Fuß der bronzenen Leda und an den des Trommlers rattern. Um die Hände des einen sind verfärbte Bandagen gewickelt. Der andere streckt einen steifen Gipsarm von sich, an dessen Ende eine Bierdose schwebt. Als die Kapelle ein Lied intoniert, beginnt der Mann mit Gips zu tanzen, wobei er erst Arme und Beine einer Seite in die Höhe hopsen lässt, dann die der anderen. Der Bandagierte fährt das Auto seines Sohnes an Ledas Fuß zu Schrott. Der Junge versucht noch lange, das Ding wieder in Gang zu bringen.

Auf silbernen Motorrollern knattern ein Mann und eine Frau über den Gehweg, beiden schaukeln beim Absteigen Pferdeschwänze über die blauen Bomberjacken. Ordnungsamt! Auch die kleine Kapelle hat das nicht ahnen können. Sie bekommt einen Platzverweis. Nach den Rügen fahren die Beamten weg, auf dem Gehweg. Die Musikanten rauchen, einer dreht die Spucke aus seiner verbeulten Tuba. Der Junge hat aufgegeben und sagt seiner Mutter am Handy, sie solle den Papa jetzt abholen. Vor einer alten Frau, die mit dem Krückstock in der Hand gerade ein Nickerchen hielt, öffnet ein Mann eine pralle Reisetasche. Er fragt: „Intimacy?“ und „CK? Moshino?“ Als die Oma auf Türkisch ablehnt, verschwindet er.

SONJA VOGEL