daily dope (273)
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Er trainierte und fand dennoch nie den Anschluss an die Spitze. Er probierte es mit Testosteron. Sein Vater hat ihn angetrieben. Er hat sich antreiben lassen, obwohl er seinen Trainer-Papa für einen Versager hielt, dem nichts in seinem traurigen Ost-Nachwendeleben gelungen ist. Die Mutter macht im Westen Karriere, spendiert ihrem Sohn eine neue Rennmaschine. Der ist jetzt tot, gestorben an einer Überdosis Testosteron. Sein Traum vom Aufstieg aus der elendigen Rostocker Platte in den sportlichen Olymp – er konnte ihn sich nicht erfüllen. Wer ist schuld? Vater und Mutter streiten sich darüber – im Theater.

In der Berliner Schaubühne wird das Thema Doping hochkulturell verhandelt. Dort läuft derzeit die „Deutschlandsaga“, eine Serie von Uraufführungen mit Stücken zur deutschen Zeitgeschichte. In den 90er-Jahren ist man nun angekommen. Da geht es auf der Bühne um Medienmonopole, um Gedanken zu einer neuen Verfassung, um Daily Talk und Daily Soap, um die fortschreitende Verrohung der Gesellschaft durch fortschreitenden Medienkonsum – und im Stück der jungen (Jahrgang 1986) Autorin Anne Rabe eben um Doping. „Das erste Stück über Martin“, ist das Minidrama betitelt. Die Autorin projiziert all ihre Bewunderung für die Ost-Aschenputtelgeschichte Jan Ullrichs, die sie im Begleitheft äußert, in den gescheiterten Jungradler Martin, der sich zu Tode dopt, weil er ein Held sein will, so wie Jan Ullrich ein Held war.

Gegen den wird ermittelt, in realiter, wegen Betrugs durch Doping. Demnächst will die Staatsanwaltschaft mit Ullrich einen Vergleich schließen, heißt es, gegen Zahlung einer Millionensumme. Jetzt hat Ullrich die Unterlagen für die Ermittler freigegeben, die vor Monaten bei einer Durchsuchung in seiner Schweizer Villa sichergestellt wurden. Es gibt wohl nichts mehr zu verbergen. Jan Ullrich gibt nicht mehr das Unschuldslamm. Er weiß, er ist ein Held vergangener Tage. Er ist Anne Rabes Idol der 90er-Jahre. Ein Sportbetrüger ist Protagonist der Deutschlandsaga. ARUE