Uns bleibt immer noch Berlin

Kirsten Reinhardts Gastro- und Gesellschaftskritik: Im Fleury in Mitte kann man sich wunderbar französisch fühlen. Bis Til Schweiger auftaucht

An dem einen Ende des Weinbergsparks thront ein metallener Heinrich Heine unter blätterlosen Winterbäumen. Am anderen Ende, einen Katzensprung entfernt, schlürfen echte Menschen in Decken gehüllt auf dem Trottoir Kaffee. Mit Blick auf die Straße, wie sich das in Frankreich gehört. Das Fleury, da gibt es keinen Zweifel, ist durch und durch französisch. Und: geblümt.

Ein Laura-Ashley-Traum mit Sesselchen mit Blumen- und Vogeldruck und gemusterten Kissen gegen die Nierenkälte auf den Fensterplätzen. Gerahmte Schwarzweißfotografien zeigen Gesichtslandschaften einer anderen Zeit: Catherine Deneuve, Romy Schneider, Alain Delon, Picasso, Belmondo, die Bardot.

Bestellt wird an der Theke, und dort ist man stets ausgesprochen freundlich. Was es gibt, steht auf handbeschriebenen Tafeln, natürlich in Schnörkelschrift: Quiche, Tagessuppe, Baguette und wunderbare Kuchen. Rhabarbermandeltarte, Zitronen-, Schokoladen- und Nusstarte und Tartelettes in Pastellfarben. Dazu, in allerlei Dosen und Gläsern, Schokosardinen in Staniolpapier, Karamellbonbons, Pralinen und Anispastillen. Im Regal im hinteren Bereich des Cafés stapeln sich weitere Delikatessen.

Das Beste sind die Cannelés: Küchlein in Miniaturgugelhupfform, die innen fast roh und vanillig, außen knusprig und karamellig schmecken. Perfekt, als seien sie direkt aus einer Pariser Patisserie importiert. Die Milch zum Schwarztee kommt geschäumt im kleinen Kännchen, das Baguette ist luftig-kross, der Blauschimmelkäse beißt in die Zunge, die Birnenscheibe fein gefächert und die Walnuss frisch.

Auch die Lektüreauswahl kann sich sehen lassen. Tageszeitungen, Geo und Galore, dazu eine Auswahl an Tratsch- und Glamourmagazinen. Und eine großartige Zeitschrift namens Écoute („Das Fachmagazin für den Frankreichliebhaber“), mit Vokabelkästchen zum Text.

Die Themen: Napoleon III. und die schwindende Kaufkraft der Franzosen. So erfährt man, dass ein BigMac in Paris 70 Cent teurer ist als in Berlin und eine DVD mit „Casino Royale“ drauf sogar ganze 6 Euro. Selbstredend sind die Magazine voll von Bruni-Sarkozy. Aber da ist auch eine ausführliche Reportage, die zu seinem 80. Geburtstag an Serge Gainsbourg erinnert, bebildert mit einem Halbakt und ordentlich Schamhaar des kettenrauchenden Chansonniers. Doch die Illusion vom Pariser Leben hält nicht lang. Schnell holt eine Modestrecke mit Til Schweiger einen in die Realität zurück. Schade.

FLEURY, Weinbergsweg 20, geöffnet Mo–Fr 8–22 Uhr, Sa und So 10–22 Uhr, U8/M8 Rosenthaler Platz, Baguettes 3,40 €, Tartes von 1,80 bis 2,50 €, Schololadensardinen 40 Cent, Tipp: Cannelé für 1,80 € und genügend Zeit zum Lesen mitbringen