peter gauweiler in der taz vor zehn jahren über das erbe der studentenbewegung von 1968
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Echte Feinde sind besser als falsche Freunde. Vielen Dank also, liebe Redaktion, für die Einladung zu 30 Jahre 68er – ein Geburtstagsartikel. Das nennt man Tapferkeit vor dem Freunde. Vielleicht beruht dieser Vorschlag der taz aber auch nur auf Sentimentalität, weil jetzt bei den alten 68ern und mir die mittleren Jahre anfangen. Und die Phase der Kamerad-weißt-du-noch-Erzählungen. Also: Die 68er und ihre Wirkungen. Aus ihnen sind richtig normale Politiker geworden, was zum Streit führte, ob das System oder sie selbst sich am meisten geändert hätten. Jedenfalls fühlen sie sich in ihrer neu-alten Rolle des täglichen Erklärens, Dementierens und Stirnefaltens kannibalisch wohl. Und über die Unterstützung von Blauhelmeinsätzen der UNO in Irgendwo („peace keeping oder peace making“) können sie schon räsonieren, als wären sie von der Jungen Union.

Die 68er als gewesene Revolutionäre. Ihre Sendung war die Veränderung des geistigen Deutschlands. Aber, obwohl hochbegabte Wortkünstler, nicht durch das Mittel des gedruckten Buches, sondern durch eine Kette von öffentlichen Provokationen. Also Hervorrufungen. Stürmer und Dränger. Die Stimmungs-Parallele zu deutschen Generationsideen früherer Jahrzehnte – man denke an den als 19jährigen bei einer anderen Revolte erschossenen Studenten und Pfarrerssohn Horst Wessel – oder früherer Jahrhunderte, als die Leiden des Jungen Werther literarisch veredelt wurden, sind offensichtlich: Gegen das Hausvaterleben, für eine neue Zeit. Ob es stimmt, daß der Wertewandel von 68 unumkehrbar ist, steht dahin. Andauernde Indoktrinierung, das Abreißen von Tradition, eine offensichtliche Infantilisierung müssen nicht das letzte Stadium in der Geschichte der Deutschen gewesen sein. Wenn es so wäre, läge die „Schuld“ wohl weniger bei den 68ern, sondern bei jenem Teil der bürgerlichen Klasse, der auf die Strategie des Nach-dem-Munde-Schweigens festgelegt hat. Peter Gauweiler, taz, 9. 4. 1998