berliner szenen Clash of Civilization

Am Kottbusser Damm

Gegen 23 Uhr laufe ich den Kottbusser Damm hoch, vom Hermannplatz in Richtung Schönleinstraße. Viel ist nicht mehr los. Die Leuchtreklamen einiger türkischer Imbisse schummern, hin und wieder gibt ein Autofahrer Gas. Ich war bei einer Freundin, wir haben gekocht und Rotwein getrunken. Jetzt ist mir kalt hier draußen, und ich bin müde. Ich wickle den Schal fest und gehe schneller, in ein paar Minuten Fußweg bin ich zu Hause.

In der Ferne kommt mir eine Gruppe Jugendlicher entgegen. Fünf Jungs, vielleicht 17 oder 18, türkische Gesichtszüge. Sie laufen in einer Reihe, die Schultern hochgezogen. Schnelle, breite Schritte, ein paar laute Schimpfworte, raumgreifende Gesten. Alle tragen dunkle Kleidung, hässliche, knöchelhohe Turnschuhe und prollige Jacken. Einer spuckt zur Seite aus. Obwohl ich mich in Kreuzberg oder Neukölln sonst nie unwohl fühle, kommt mir die Situation plötzlich bedrohlich vor. Der Gehweg ist zu schmal, als dass die Fünferreihe und ich einfach so aneinander vorbeilaufen könnten. Der Junge rechts außen müsste mir ausweichen. Ich schätze die Entfernung ab; aus vielleicht zehn Metern schaut er mir angriffslustig in die Augen. Ich schaue grimmig zurück und wappne mich mit einer bissigen Reaktion auf Verbalattacken oder Anrempeln.

Weder er noch ich verringern das Tempo. Zwei der anderen Jungs machen lautstark ihrem Ärger über irgendeine „Scheiße, Alter“ Luft. Der Typ rechts außen fixiert mich. Noch zwei Meter, noch einen, ich kann nicht ausweichen, da ist kein Platz mehr, er müsste … Einen halben Meter vor mir zieht er charmant die Schirmmütze, macht einen kleinen Bogen um mich und lächelt mich im Vorbeigehen an. Ich bleibe vor Schreck fast stehen.

PATRICIA HECHT