OFF-KINO
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Nachdem das Studio Universal zu Beginn der 1930er-Jahre mit den Horrorfilmen „Dracula“ und „Frankenstein“ große kommerzielle Erfolge erzielt hatte, wollte man sich auch bei MGM an den Trend anhängen. Dazu engagierte Produktionschef Irving Thalberg den Horrorspezialisten Tod Browning, dessen Credits unter anderem eben „Dracula“ beinhaltet. Der Film, den Browning dann 1932 für MGM drehte, erfüllte die Studiobosse allerdings wirklich mit Horror, und zwar derart, dass „Freaks“ für Jahrzehnte im Archiv verschwand. Browning, der in jungen Jahren einige Zeit mit Vaudeville- und Zirkusshows durch die Lande gezogen war, hatte eine Geschichte aus dem Artistenmilieu verfilmt und dazu eine große Anzahl von Menschen versammelt, die ihr Leben als fragwürdige Manegenattraktionen fristeten: „Pinheads“, Kleinwüchsige, eine Frau mit Bart, siamesische Zwillinge sowie ein Mann ohne Arme und Beine – dessen Foto übrigens auch auf dem Cover der 12-inch-Single „Something to Believe In“ von den Ramones zu sehen ist, die ihre Textzeile „Gabba, Gabba, we accept you, we accept you, one of us“ ebenfalls dem Dialog von „Freaks“ entnahmen. Tatsächlich kehrt Browning in seinem eigentlich gar nicht horriblen, sondern sehr sensiblen Film die herkömmliche Wahrnehmung seiner außergewöhnlichen Hauptdarsteller einfach um: Die gehandicapten Zirkusleute erweisen sich schnell als ganz normale Leute mit allen menschlichen Stärken und Schwächen, während die schöne Trapezartistin, die aus purer Geldgier einen Liliputaner heiratet und seine Ermordung plant, und ihr Komplize, der Muskelmann der Truppe, die wahren Freaks sind. Eine lebensnahe Parabel mit hohem Wahrheitsgehalt.

Auf der Kurischen Nehrung, jenem rund 100 Kilometer langen, nur wenige Kilometer breiten Landstreifen, der das Memeldelta von der Ostsee trennt, drehte Volker Koepp einen weiteren seiner interessanten Dokumentarfilme über Landschaften, Menschen, deutsche Vergangenheit und multinationale Zukunft: Früher Teil von Ostpreußen, ist der südliche Teil der Kurischen Nehrung heute russisch, während der nördliche zu Litauen gehört. Eine litauische deutschstämmige Rentnerin berichtet aus ihrer Jugend, ein russischer Filmvorführer kocht sein Essen, eine junge Litauerin zeigt ihre Bernsteinarbeiten – und alle erzählen sie von ihren Hoffnungen für diese von Wind und Wasser geprägte Landschaft. Koepp nähert sich den Menschen mit Distanz und Vorsicht an, mit der Zeit aber kommt eine schöne Vertrautheit auf zwischen den Protagonisten und der Filmcrew.

Um ganz ehrlich zu sein: Ich konnte die heilige Johanna noch nie ausstehen. Fällt einem irgend etwas Blöderes ein als eine religiöse Fanatikerin, die Gottes Stimme hört und anschließend in den Krieg zieht? Filmregisseure hat das offenbar nie gestört, ihnen ging es beim Thema Jeanne d’Arc meist um etwas anderes. In „Die Passion der Jungfrau von Orléans“ (1928) erkundet der dänische Regisseur Carl Theodor Dreyer in langen Großaufnahmen vor allem das expressiv leidende Gesicht Maria Falconettis in der Titelrolle. LARS PENNING

„Freaks“ (OF) 10. 4. im Arsenal

„Kurische Nehrung“ 14.–16. 4 im Bali-Kino

„Die Passion der Jungfrau von Orléans“ 13. 4. im Zeughauskino