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Archiv-Artikel

Mit Eulenlöchern ging es besser

Das widerstandsfähige Reet aus heimischem Wuchs ist schwer zu kriegen, das Gros kommt heute aus Südosteuropa. In Dänemark und den Niederlanden versucht man, es so zu imprägnieren, dass es auch feuchten Sommern widersteht

VON PETRA SCHELLEN

Das Reetdach liegt wieder im Trend, und das nicht nur in Schleswig-Holstein: Auch in den Niederlanden und in Dänemark werden die so heimelig wirkenden Häuser gefertigt, „die Kundschaft ist bunt gemischt“, sagt Reetdachdecker Reinhold Junker aus Dollern bei Stade. Die meisten aber, fügt er an, seien Idealisten, „die sich einen Traum erfüllen wollen“.

Allerdings sei es auch eine Frage des Geldes, ob man sich leisten könne, solch ein Dach – etwa auf einem ererbten Haus – zu installieren. Denn die Reetbündel werden in Handarbeit auf etwa 1,60 Meter Länge geschnitten und dann mit Draht vernäht. Und damit der Regen an den Halmen entlang gut nach unten ablaufen kann, muss das Dach einen Neigungswinkel von mindestens 45 Grad haben. Abgesehen davon muss solch ein Dach alle zehn bis 15 Jahre erneuert werden. Denn auch das heimische Reet, das der hiesigen Witterung naturgemäß besser standhält als etwa südosteuropäisches, hält nicht ewig. Schon gar nicht angesichts der derzeit sehr verregneten Sommer. Ein bisschen ist die Nachfrage nach Reet deshalb bereits zurückgegangen, und falls es so feucht bleibe, könne die Branche irgendwann „arge Probleme“ bekommen. Denn Reet, so Junker, „braucht längere Trockenperioden – sprich: Winter mit längeren Frostperioden und zumindest mäßig trockene Sommer“. Doch das sei nicht zu erwarten, weshalb Niederländer und Dänen bereist seit Dekaden an Möglichkeiten der Versiegelung arbeiteten. „Die sind uns da zehn, 15 Jahre voraus“, sagt Junker. Wobei das Problem weniger die medial viel beschrieenen Pilze seien, als vielmehr der Schimmel. „Wenn die Dampfsperre – die Folie, die das Dach vom Innenraum trennt – undicht ist und warme Feuchtigkeit aus dem Wohnraum ins Reetdach steigt, kann das zu Schimmelbildung führen.“

Ein Problem, das oft auftritt und nicht nur Reetdächer betrifft, weil die zuständigen Handwerker oft nicht hinreichend ausgebildet und bezahlt sind. „Früher“, sagt Junker, „gab es natürliche Lüftungen im Dach, etwa durch Eulenlöcher. Aber heute möchten viele ja auch nicht mehr mit Eulen unter einem Dach wohnen.“ Er bedauert es ein wenig und geißelt zugleich die andere Seite des Natur- und Vogelschutzes. Denn einheimisches Reet darf oft nicht mehr oder nur nach langer bürokratischer Prozedur abgebaut werden, weil es als Nistplatz für Vögel dienen soll. Eine in Junkers Augen einerseits sinnvolle, andererseits schädliche Regel. „Das Reet löst sich ja nicht auf. Also vergammelt es am Ufer, und ganze Flussläufe verschlicken.“ Aus Österreich, Ungarn und Tschechien importiert er inzwischen sein Reet; auch in den Beständen hiesiger privater Besitzer darf gelegentlich – mit dem Argument der Pflege – geschnitten werden.

Ob heimisch oder importiert – in jedem Fall geht vom Reetdach eine enorme Brandgefahr aus. Seit langem dürfen deshalb auf den nordfriesischen Inseln keine Feuerwerke abgebrannt werden. Denn eine halbe Stunde genügt, um ein Reetdach komplett abzubrennen; besondere Tücke außerdem: Die geschnürten Reetbündel lösen sich einzeln und rutschen brennend von der Dachfläche, so dass auch das Verlassen des Hauses gefährlich bis unmöglich werden kann. Schon im 18. Jahrhundert begannen Hausbesitzer deshalb Brandtüren an den Längsseiten des Hauses einzubauen, deren Spitzgiebel die Flucht zumindest sicherer machten. Dass die Prämien für Feuerversicherungen bei reetgedeckten Häusern erheblich höher sind als bei Hartdach-Häusern, versteht sich da von selbst. Zwar wird am Brandschutz auch für Reet bereits gearbeitet. Eine Folie aus Glasfaser-Vlies wird zum Beispiel auf den Latten und direkt unter dem Reet angebracht. Aber all diese Experimente stecken noch in den Anfängen. Und wenn jemand sehr besorgt ist, auf die Optik des Reets aber trotzdem nicht verzichten möchte, bleibt nur eine profane, Potemkin’sche Lösung: Reet aus Kunststoff. Der ist dann etwa so anheimelnd wie der berühmte Plastik-Weihnachtsbaum.