Panik und Patina

Auf dem Zollamt

Eine von der Künstlersozialkasse angestrengte Vollstreckungsmaßnahme hatte gegen mich vorgelegen. Voller Panik war ich durch die Gegend gerannt und hatte überall so oft gerufen: ich krieg zu wenig Geld, dass es mir danach schon etwas peinlich war. Man hatte mir aber geholfen und mit dem Geldscheinbündel war ich zum Hauptzollamt gefahren.

Das riesige Gebäude schien fast so groß zu sein wie der Palast von Ceaușescu und beherbergte viele seltsame Behörden. Zum Beispiel das Wasser- und Schifffahrtsamt. Der Eindruck war vor allem grau-braun und seltsam Sixties. Die Mitarbeiter sahen so ähnlich aus. Die meisten waren wohl um die fünfzig und zuvorkommend. Die Männer trugen wie ich einen Parka. Ich vergaß zu fragen, wieso das Zollamt mit der Vollstreckung meiner Schulden bei der KSK beauftragt war. Es gab viel Patina an den Wänden, die zuletzt vor dreißig oder vierzig Jahren gestrichen worden waren. Dass alles an früher erinnerte, passte gut, denn hier ging es ja um Schulden.

Ich fühlte mich wohl. Wie ich mich immer sofort wohl und aufgehoben in Behörden gefühlt hatte. Im Meldeamt. Im Finanzamt. Schön war’s auch früher bei der Kfz-Anmeldestelle gewesen. Das war mir alles sofort vertraut. Meine Mutter hatte in der Kreisverwaltung als Phonotypistin gearbeitet. Sie hatte immer Platten abgetippt. Als kleiner Junge war ich oft nach der Schule ins Kreishaus gegangen, um dort zu warten oder mir den Hausschlüssel abzuholen. Ich fühlte mich also wohl, scherzte mit Mitarbeiterinnen, bezahlte die Schulden und kaufte mir danach – in einem kleinen, seltsamen Lampengroßhandelsgeschäft in der Möckernstraße – eine neue Schreibtischlampe. Die Sonne schien. Alles war prima.

DETLEF KUHLBRODT