Der lange Abschied

Der HSV blamiert sich mit einer 0 : 1-Niederlage gegen MSV Duisburg und rutscht aus den Rängen für die Champions League. Trainer Huub Stevens scheint machtlos, die Nachfolgerfrage ungeklärt

von JAN KAHLCKE

Lotto King Karl ist eher Mann fürs Grobe als feinsinniger Analytiker. Aber diesmal hatte der Klamauk-Sänger und HSV-Stadioneinheizer recht: „Einen guten Mann hatten wir heute: den zwölften!“, motzte er nach dem Abpfiff. Gegen den MSV Duisburg hatten auch die Zuschauer ihre Krisen mit der armseligen Darbietung des HSV. Nach einer halben Stunde wurden sie unruhig – nach einem Trick von HSV-Verteidiger Atouba mit Selbstüberlistung und negativem Raumgewinn von 30 Metern.

Dabei war zu diesem Zeitpunkt alles noch halbwegs in Ordnung: Keine Tore zwar, aber immerhin hatten die Gäste aus Duisburg die Schwäche des HSV noch nicht richtig verinnerlicht. Dafür brauchten sie offenbar noch ein wenig Nachhilfe in der Kabine. Lameys Fernschuss in der 46. Minute drehte HSV-Torwart Frank Rost gerade noch um den Pfosten. Acht Minuten später wirft derselbe Mann auf Kapitän Grlić ein, der Kompany enteilt und Bastian Reinhardts Bein als Bande zum 1 : 0 benutzt. Wie so oft wachte der HSV erst danach auf, aber die Duisburger spielten ihre Führung mit einer Tugend nach Hause, mit der HSV-Trainer Huub Stevens einst seine Mannschaft zum Erfolg geführt hatte: kollektiver Disziplin.

Unter normalen Umständen würde spätestens jetzt eine Trainerdebatte beginnen: DFB-Pokal und Uefa-Cup verspielt, und nach nur drei Siegen in der Rückrunde die Qualifikation für die Champions League verschenkt. Aber wie soll man einem Trainer mit Entlassung drohen, der die schon selbst terminiert hat, zum Saisonende? Jetzt ist genau das passiert, was die HSV-Verantwortlichen um jeden Preis vermeiden wollten: Stevens ist eine klassische lahme Ente. Wer sich jetzt hängen lässt, muss von ihm keine Konsequenzen mehr befürchten. Die Disziplinlosigkeiten reißen wieder ein – und Stevens scheint machtlos. „Wir haben uns die Probleme selbst gemacht – mit roten Karten“, sagte er nach dem Spiel, in dem ihm Mathijsen und Jarolím gesperrt fehlten. Vergessen hatte er die gelben: Rafael van der Vaart und Timothee Atouba werden gegen Hertha BSC völlig unnötige Gelbsperren absitzen.

Als misslich erweist sich nun, dass seit fünf Monaten die Suche nach einem Nachfolger nicht vom Fleck kommt. Dabei wurden durchaus verheißungsvolle Kandidaten gehandelt. Aber offensichtlich reden beim HSV zu viele mit. Obwohl Diskretion vereinbart war, sickerte aus dem Aufsichtsrat durch, am kroatischen Nationaltrainer Slaven Bilić habe dem Gremium der Brilli im Ohr nicht gepasst. Sportchef Dietmar Beiersdorfer setzte sich in dieser Woche in einem Machtkampf gegen Präsident Bernd Hoffmann durch, der gern Jürgen Klopp aus Mainz geholt hätte. Klar wird allmählich, dass der HSV nicht einfach eine Kopie von Huub Stevens suchen kann: Zwar hat sein Modell, alles auf überlegene Physis und kompakte Deckung zu setzen, zu erstaunlichen Erfolgen geführt – dennoch gerät es beim HSV allmählich an seine Grenzen: Die Kreativität der Mannschaft ist mittlerweile so unterentwickelt, dass sie keine Mittel hat, bescheidene Mannschaften wie Duisburg spielerisch zu knacken. Zumindest dann, wenn Rafael van der Vaart keine genialen Momente hat. Und die fehlten am Samstag genauso wie in den Wochen zuvor. Insofern ist die Krise des HSV auch eine ihres Stars, der zu Saisonbeginn völlig unbeeindruckt von seinen Wechselabsichten spielte, jetzt aber darunter zu leiden scheint, dass Europas Spitzenclubs derzeit nicht um ihn Schlange stehen.