Der Mann fürs Sinnliche

Der Hamburger Fotograf Jochen Lempert ist studierter Biologe und Künstler. Aus seinen technisch einfach gehaltenen Arbeiten spricht eine anachronistische Poesie, wie eine Ausstellung im Sprengel-Museum in Hannover zeigt

Es herrscht verhaltene Stimmung unter den Vögeln. Links oben ein Artgenosse, der trotz seiner Verwunderung zutraulich wirkt. Gleich neben ihm ist es auch die Gutmütigkeit, die zu überwiegen scheint, während oben rechts leicht vergrätzte Eitelkeit überwiegt. Insgesamt jedoch ist es so, dass die wenigsten Betrachter dieser Fotos diese Vögel schon mal in natura gesehen haben dürften. Sie kennen sie aus dem Biobuch aus der Schule – also im Fahndungsfoto-Stil, so ähnlich wie hier.

Nur, dass diese auf den ersten Blick wissenschaftlich gehaltenen Bilder derzeit im Sprengel-Museum in Hannover hängen. Die Bilder stammen von dem Hamburger Fotografen Jochen Lempert, der vor vielen Jahren einmal Biologie studiert hat. Das aber ist lange vorbei, Lempert hat sich mittlerweile als Künstler einen Namen gemacht.

Einer seiner künstlerischen Ansätze ist es, die Möglichkeiten des Mediums Fotografie zu thematisieren, und zwar auf Grundlage der wissenschaftlich motivierten Fotografie, der es um Objektivität geht – und die an der technischen Entwicklung des Mediums großen Anteil hat. Die Vögel in Reihe zeigen eine Vorstellung von Objektivität, wie sie die Wissenschaft geprägt hat und erinnern an ihre heute skurril anmutende Tradition. Und sie zeigen, wie die Betrachter automatisch das Menschliche im Vogel suchen, mangels Einfühlungsvermögens.

Die Tiere sind das Eine, das die Ausstellung in Hannover prägt. Neben den Vögeln gibt es Bilder von Mikroorganismen aus dem Meer, den Urformen des Lebens oder das Fotogramm eines Käfers, der über ein Blatt läuft. Lemperts zweites großes Interesse ist das Licht, sei es das Licht eines Meeresleuchtens oder das Licht, das eine von Wolken verdunkelte Sonne in Kombination mit einem brennenden Baum ergibt. Licht wird bei Lempert immer als etwas Ursächliches in Szene gesetzt. Wobei Lempert gern natürliches Licht dem künstlichen gegenüberstellt, Letzteres dann beispielsweise in Form eines illuminierten Hochhauses, das er bei Nacht fotografiert hat.

Überraschend ist, wie konsequent Lempert technisch gesehen auf die alte Schule setzt. Da ist nichts digital, nichts nachbearbeitet, es geht nur um das Fotopapier, oft grobkörnig und dabei immer sehr sinnlich. Lempert pflegt einen sehr einfachen Umgang mit der Technik. Das sieht dann so aus, als stammten Lemperts Bilder aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Tun sie aber nicht. Lemperts Vögel beispielsweise sind aus dem Jahr 1997, seine Serie White Light und das Bild Meeresleuchten entstanden 2007.

Der Hamburger Lempert, geboren 1958 im nordrhein-westfälischen Moers, ist einer, der als ausgebildeter Biologe in Afrika bereits eine bisher unbekannte Libellenart entdeckte und der einer künstlerischen Arbeit schon mal den Namen „Insektenbeobachtungstisch“ gibt. Dabei ist es immer ein künstlerischer Blick, mit dem Lempert Naturphänomene wahrnimmt – und der wirkt, als käme er aus einer anderen Zeit.

Über die poetische Kraft dieser Art von Naturbetrachtung aber ist sich Lempert im Klaren. Damit wird er zwar nicht im großen Stil zu Aufsehen erregenden Ausstellungen kommen, aber zu kleinen Präsentationen, wie beispielsweise ab kommenden August im Hildesheimer Roemer- und Pelizäus-Museum, unter dem Titel: „Das Alter des Universums ist nicht genau bekannt“.

KLAUS IRLER

bis 7. September im Sprengel-Museum, Hannover. In Bezug auf die Helen Levitt-Ausstellung findet am Freitag und Samstag ein Kolloquium im Sprengel-Museum statt: Verschiedene Experten halten Vorträge zur Ästhetik der New Yorker Künstlerin. Eintritt: 8 Euro