Alte Freunde, neue Feinde

Während der schwarz-grüne Koalitionsvertrag vor der Unterzeichnung steht, dreschen die neu Verbündeten und die rot-rote Opposition beim Thema Kohlekraftwerk Moorburg in der Hamburger Bürgerschaft aufeinander ein

Den Bau neuer Kohlekraftwerke „aufgrund betriebswirtschaftlicher Renditeerwägungen“ lehnt der Zukunftsrat Hamburg ab. Nur im Rahmen eines bundesweiten Energieversorgungskonzepts könne „der Neubau von wenigen effizienteren Kohlekraftwerken in Betracht“ kommen, um alte und umweltbelastendere Kraftwerke zu ersetzen, heißt es in einer gestern veröffentlichten Stellungnahme: „Eine Steigerung fossiler Kraftwerkskapazitäten über den gegenwärtigen Stand hinaus steht nicht zur Debatte.“ Nach dem Atomausstieg werden bis 2020 alle Atommeiler in Norddeutschland außer Betrieb gehen: Brunsbüttel 2009, Unterweser 2012, Krümmel 2017, Grohnde 2018, Brokdorf 2019, Emsland 2020. Diese sollten nach Ansicht des Zukunftsrates durch den „zügigen Ausbau alternativer Kraftwerke“ ersetzt werden.  SMV

Alte Feinde, neue Freunde – alte Freunde, neue Feinde. Einen Tag, bevor die erste schwarz-grüne Länderkoalition besiegelt werden soll, übten die 121 Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft gestern schon einmal die neuen Konstellationen. SPD und GAL, zwischen 2001 und Anfang 2008 mehr als sieben Jahre lang in gemeinsamer Opposition vereint, droschen munter aufeinander ein, Grüne und CDU übten – schüchtern und noch etwas verhalten – den gegenseitigen Applaus. Schwerpunkt der kontroversen Debatte: Der umstrittene Bau des Steinkohlekraftwerks Moorburg durch den Vattenfall-Konzern, die höchste Hürde auf dem Weg zum schwarz-grünen Koalitionsglück.

Unter dem Debatten-Motto „Hamburgs Zukunft steht auf dem Spiel“ versuchte die SPD die Koalitionäre in spe frontal anzugehen. Der CDU warf der SPD-Abgeordnete Peter Tschentscher vor, durch die Moorburg-Planung „die Umwelt und die Gesundheit der Wilhelmsburger Bürger“, die in der Hauptwindrichtung der geplanten Abgas-Schleuder wohnen, „zu gefährden“.

Offensichtlich habe Bürgermeister Ole von Beust (CDU) vor der Wahl Zusagen an den Energiekonzern Vattenfall gemacht, aus denen er „nun nicht mehr ohne größeren Schaden herauskomme“. So sei möglicherweise ein Rechtsanspruch für Vattenfall entstanden. „Wenn nur der Hauch einer Chance besteht, dass Vattenfall mit seinen Schadensersatzansprüchen durchkommt, ist das Staatswohl gefährdet“, so Tschentscher nicht ganz ohne Pathos.

Die GAL-Fraktionsvorsitzende Christa Goetsch hielt der SPD entgegen, bei ihr sei „nicht zu erkennen, ob sie Moorburg nun eigentlich bauen oder verhindern“ wolle. CDU und GAL warfen der SPD und vor allem deren Landesvorsitzendem Ingo Egloff vor, mit ihrer Ablehnung von Moorburg auf Wahlstimmenfang gegangen zu sein, um sich nun der CDU verzweifelt als Junior-Koalitionär anzudienen, mit dem Argument, sie würde den Kraftwerksbau mittragen. „Ihre Argumentation hat nicht einmal einen roten Faden“, warf der CDU-Fraktionschef Frank-Thorsten Schira Egloff und der SPD-Fraktion vor.

Unterdessen ist auch in der SPD umstritten, ob Vattenfall etwas in der Hand hat, den Moorburg-Bau durchzusetzen oder Regressansprüche einzuklagen. Egloff untermauerte diese Befürchtung, indem er in der Debatte ein Geheimpapier zitierte, in dem die Hamburger Umweltbehörde dem Stromkonzern im vergangenen November signalisiert haben soll, mit der emissions- und wasserrechtlichen Genehmigung werde es keine Probleme geben.

Die SPD-Umweltexpertin Monika Schaal hingegen kommt nach der Beantwortung zweier kleiner Anfragen der SPD durch den Senat genau zur entgegengesetzten Schlussfolgerung. Aus ihr gehe hervor, so Schaal, „dass es keinen Vertrag gibt, der eine verbindliche Zusage zum Bau des Kraftwerks enthält“. Auch beantworte der Senat die Frage, ob es sonstige verbindliche Zusagen gebe, mit einem schlichten „Nein“.

Allerdings seien laut Senatsanfrage bereits immerhin 22 Teilgenehmigungen für vorbereitende Baumaßnahmen erteilt worden. Dazu gehören Bodenuntersuchungen, eventuelle Kampfmittelräumungen, die Erstellung einer Baugrube oder auch die Errichtung eines eingeschossigen Pförtnerhauses auf der Baustelle an der Süderelbe.

In der im Dezember vorigen Jahres geschlossenen Vereinbarung zwischen Stadt und Vattenfall über „begleitende Maßnahmen“ heißt es jedoch ausdrücklich, sie gelte nur „für den Fall der Genehmigung des Kraftwerks“. Beiden Seiten sei bewusst, dass diese Vereinbarung „auf der noch zu erteilenden Genehmigung aufsetzt“.

Vattenfall hatte jedoch mit Schadensersatzforderungen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro gedroht, falls das Projekt nicht zustande kommen sollte. Diese Summe habe der Konzern bereits in Planung und Bau des Kraftwerks investiert.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Hamburg geht davon aus, dass Vattenfall „definitiv auf eigenes Risiko baut“, sagt Landesgeschäftsführer Manfred Braasch.

Gero Lücking, Sprecher des Hamburger Ökostromanbieters Lichtblick, weist derweil auf die Konsequenzen des CO2-Emissionshandels für den Preis von Kohlestrom hin. Ab 2012 müssen Betreiber für den Ausstoß von Kohlendioxid bezahlen: „Gas ist der Brennstoff mit den geringsten CO2-Emissionen, nur halb so viel wie Kohle“, sagt Lücking in einem Interview auf der Homepage der Hamburger SPD. Deshalb habe ein Gaskraftwerk einen strategischen und betriebswirtschaftlichen Vorteil. Lichtblick hatte den schwarz-grünen Möchtegern-Koalitionären kurzzeitig die Errichtung eines Gaskraftwerks als Alternative zum Kohlemeiler von Vattenfall angeboten. MARCO CARINI
, SVEN-MICHAEL VEIT