berliner szenen Wo ist der Eulenschwalm

Schrecklicher Verdacht

Aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen war ich noch nie im Tierpark Friedrichsfelde. Als eine ehemalige Kommilitonin mit Mann und pubertierender Tochter neulich am Sonntag auf dem Weg dorthin war und fragte, ob ich mitkomme, überlegte ich nicht lange. Ein Freund hat dort vor einiger Zeit die Patenschaft für ein seltsames Geschöpf übernommen, einen Eulenschwalm. Das ist keine Eule, sondern der australische Verwandte der hiesigen Nachtschwalbe mit riesigen Augen und einem Schnabel, in dem ganze Ratten Platz finden. Ich wollte das mir unbekannte Tier samt Park endlich in Augenschein nehmen und fuhr mit.

Kaum hatten wir Europas größten Landschaftstiergarten betreten, schickte ich dem Tier-Paten eine SMS. Ich wollte wissen, wo der Eulenschwalm zu finden ist. „Im Raubtierhaus“, antwortete er. Schnurstracks liefen wir dorthin. Zwischen den Käfigen mit Tigern, Löwen und Jaguaren stehen tatsächlich Glasvitrinen mit seltenen exotischen Vögelchen. Achtlos lief ich an ihnen vorbei. Ich interessierte mich nur für den Eulenschwalm. Doch er war und war nicht zu finden. Am Ende unseres Rundgangs standen wir plötzlich vor einer leeren Vitrine. Weit und breit keine Spur von einem Eulenschwalm und auch nicht von einem Schild mit dem Namen des Paten. Mich beschlich ein ungutes Gefühl. Mir fielen die vier toten Kätzchen ein, die der Tierparkchef vor vielen Jahren mit einem artgerechten Genickbruch umgebracht hat und deswegen und wegen anderer Sachen derzeit arg in der Bredouille ist. Ich fand keinen Pfleger, den ich nach dem Verbleib des Geschöpfes hätte fragen können. Seitdem bin ich am Überlegen, wie ich dem Eulenschwalm-Paten die schreckliche Nachricht möglichst schonend beibringen kann. BARBARA BOLLWAHN