Peter und der Pharoah

Der Schriftsteller und Musiker Thomas Meinecke unterhielt sich im Berliner Hebbeltheater mit dem früheren Punk und jetzigen Malerfürsten Daniel Richter über Komposition und Covergestaltung. Das Publikum lauschte gerne mit

Auf dem Cover sind die vier Musiker mit Plastiktüten über dem Kopf abgebildet. Große Kunst sei das, meint Daniel Richter

„Automatic Gun for continuous firing“ steht auf dem Cover von Peter Brötzmanns LP „Machine Gun“. Vor einer gezeichneten Figur mit NVA-Helm, technische Erläuterungen zur Knarre. Militär-Folklore. Ganz anders die Musik, Stakkato-Freejazz aus Westdeutschland von 1968. Das Cover wird ständig befingert, umgedreht, weggenommen. Die Musik fährt abrupt runter.

Wir befinden uns am Dienstagabend bei „Plattenspieler“, einer Gesprächsreihe im Berliner Hebbeltheater. Auf der verdunkelten Bühne steht ein DJ-Pult, dahinter sitzen zwei Personen und nippen an ihren Rotwein-Gläsern. Als Moderator empfängt der Münchner Schriftsteller und Musiker (FSK) Thomas Meinecke jetzt hier zweimonatlich einen Gast, um über Musik zu „plaudern, grübeln, diskutieren“. Der Zuschauerraum ist gut gefüllt: Kreuzberger Musikvögel, Medienleute und viel junges Theaterpublikum. Mindestens die Hälfte davon weiblich.

Dass Richter und Meinecke beide verbale Schnellfeuergewehre sind, beweisen sie bereits nach kurzem Abtasten. „Machine Gun“ ist Meineckes Antwort auf „Karma“ von Pharoah Sanders. Teutonischer Freejazz versus afroamerikanischer Freejazz. „Zu geschmäcklerisch“ sei ihm Brötzmann, brummt hingegen Richter. Guter Groove mit Religion wäre ihm lieber und dann redet Richter über das Cover von „Karma“: ein afroamerikanischer Mann, meditierend auf einem Teppich, eingerahmt von psychedelisch wirkenden Farben. „Liegt der Teppich auf der Straße?“, fragt Meinecke.

Reden über Musik hat etwas Irrationales. Wie das gepflegte Durcheinander einer unalphabetisierten Plattensammlung, ist im Pop Platz fürs Abschweifen und Hakenschlagen, Wegblenden und Aufdecken, Verlieren und Wiederfinden. Sollen die anderen als ultraästhetisierende Zweckmäßigkeitsapostel geboren sein, Freejazz bedeutete an diesem Abend, dass die gemachten Männer Richter/Meinecke sich öfter zu Schulbuben ihrer selbst degradierten. Der Malerfürst verwandelte sich dann in den 14-jährigen Punk, der 120 Kilometer aus der norddeutschen Provinz nach Hamburg fährt, um zwei Singles und eine LP zu kaufen. Während der 15-jährige Meinecke den gebildeten hanseatischen Jazzjugendlichen mimte und Sun Ra als Scharlatan abtun musste, weil es der damalige Diskurs eben so wollte. Musik habe etwas Serielles, erklärte Richter, genau wie Masturbieren. Beide spielen sie entsprechende Songs von Throbbing Gristle „Something came over me“ (Richter) und „Love comes in Spurts“ von Richard Hell (Meinecke).

Ende der 80er jobbte Richter im Hamburger Plattenladen Zardoz. Meinecke, Plattenladenkunde auf Lebenszeit, diskursgestählt, wurde von Richters unorthodoxen Songs aus dieser Zeit verunsichert: Von Watt Tyler etwa, der veganen englischen Punkband, die Madonnas Herb-Ritts-Phase „Breathless“ auf einem Konzeptalbum namens „Sexless“ verballhornte.

Altersmäßig liegen sieben Jahre zwischen Meinecke (geb. 1957) und Richter (geb. 1964). Der Altersunterschied wurde virulent, wenn Richter seine Punk- und Reggae-Sozialisation einsetzte. Meinecke verschaffte sich mit seinem Anti-Hippie-Achtziger-Jahre-Popprojekt kein Gehör. Doch selbst dem Toxoplasma-Fan in mir war Richters Hörbeispiel „Leverkusen“, von der stumpfesten aller stumpfen Deutschpunkbands OHL, zu krass. Auf dem Cover sind die vier Musiker mit Plastiktüten über dem Kopf abgebildet. Große Kunst sei das, meinte Richter, und ein Zitat von The Damned. Punkrock auch seine Verabschiedung: „Sehr verehrte Damen und Herren, ich hoffe, der Abend hat Ihnen etwas gebracht. Mir nicht.“

JULIAN WEBER