Die Firma vertonen

In der Hamburger Musikhalle treffen sich alljährlich die Betriebschöre zum Konzert– und zeigen, wie sich die Sänger mit ihrem Betrieb identifizieren. Oft haben die Chöre allerdings mit schwindenden Nachwuchs zu kämpfen. Und auch ein Mangel an Männern macht sich manchmal empfindlich bemerkbar

Von MAXIMILIAN PROBST

In einer kleinen Bar auf St. Pauli hing einige Zeit ein Schild mit den Worten: „Wir glauben, dass Veränderung mit Singen im Chor anfängt“ – eine provokante Botschaft an die Gäste, deren Interesse an Politik zu ahnen, deren Begeisterung für Distinktion aber nicht zu übersehen war. Wie anders ist da die Szene, die sich an diesem Abend in der kleinen Musikhalle in Hamburg trifft. Mit dem Grundsatz „Anders als die Anderen“ stieße man hier auf taube Ohren. Dafür kann fast jeder ein Liedchen singen über die Veränderungen seit man im Chor ist, Veränderungen allerdings, die nicht ins Politische, sondern genauso ins Private gehören wie andernorts die Distinktion: Wenn man im Chor singt, so bekommt man es einstimmig während des Konzertabends der Hamburger Betriebschöre zu hören, wenn man im Chor singt, fühlt man sich einfach besser.

Dafür gebe es zwei verschiedene Gründe, erklärt Gisela Bauersacks, die Obfrau der Hamburger Betriebschöre. „Zum einen ist es ein schönes Gefühl, etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen, zum anderen ist Singen sehr gesund“. Es stärke das Immunsystem, wie leichter Sport.

Und Chorsingen ist ja auch ein Sport, die Betriebschöre sind im Betriebssportverband Hamburg e.V. organisiert und der Holstenchor Hopfen und Malz legt sich auf der Bühne wirklich mächtig ins Zeug. „Odi et amo“, ich hasse und ich liebe, schmettern die Sänger aus Carl Orffs „Catulli Carmina“ und gewaltiger Applaus wogt dafür durchs Publikum. Die Sänger fänden sicherlich Gefallen daran, sich von diesen Wellen tragen zu lassen, aber in ihrem Sportsgeist jagen sie gleich das nächste bewegte Stück in den Saal, ein Schunkellied. „Ihre Schönheit und ihre Jugend hat mir mein Herz erfreut“, so tönt es, und dieses Volkslied (Erlaube mir, feins Mädchen) passt ausgesprochen gut zu den folkloristischen, dezent mit den Holstenfarben spielenden Kostümen der Sänger. Nach dem neckischen Lied Schuld war nur der Bossa Nova, „bitte glaube mir“ heißt es zwischendurch manchmal versöhnlich, beendet der Holstenchor seinen Auftitt mit einer Kadenz, oder besser gesagt, mit einem großen Knall, der sich wie folgt buchstabieren ließe: Tschatschatschabummm. Aber erst als die Sänger von ihren Treppchen runtersteigen, erschöpft, ganz, ganz, vorsichtig und sich einander stützend, weiß man den jugendlichen Übermut ihrer Stimmen wirklich zu würdigen; denn erst da begreift man, dass sie allesamt schon an ihrem Lebensabend stehen.

Für die Betriebschöre ist die Überalterung mittlerweile zum Problem geworden. Einige mussten schon ganz aufgeben, erklärt mir Obfrau Bauersacks: „mangels Masse.“ So sind von den einstmals 16 Betriebschören heute nur noch elf übrig. Dazu komme noch die Zusammenlegung von Betrieben. „Früher hatten wir drei Brauereichöre, seit die alle zu Carlsberg gehören gibt es nur noch Hopfen und Malz“, klagt Bauersacks. „Und dann die Männer“, fährt sie fort, „die wollen eigentlich nur in Shantychöre. Darum fehlen in den gemischten Chören fast immer Männerstimmen.“

Der Chor Echo von Beiersdorf macht das ganze Dilemma augenfällig. Sie sind gerademal zu zehnt, und nur drei davon sind Männer. Man kann dieses Häuflein eigentlich gar nicht mehr einen Chor nennen, da für einen Chor jede der vier Stimmen, Sopran, Alt, Tenor, Bass, mehrfach besetzt sein muss. Bei drei Männern ist also die Bass- oder Tenorstimme fortwährend ein Solo.

Bedauerlich für Beiersdorf. Dass merkt man den Sängern an. Eingeschüchtert stehen sie da und Resignation schwingt in ihren Stimmen. Dass sie mit jedem Lied eine andere Sprache singen, um dem Publikum zu stecken, man sei Teil eines Weltkonzern, zieht jetzt auch nicht mehr. Auf den Gesichtern ringsum verbreitet sich die traurig-schadenfrohe Gewissheit, einen Abschied zu bezeugen, den Chor Echo endgültig verhallen zu hören– weshalb man den scheidenden Sängern auf der Bühne nur umso wärmer Beifall klatscht.

Die News Singers sind dagegen, ihr Name verrät es schon, ganz auf der Höhe der Zeit. Die Sänger des NDR-Betriebschors haben sich schlicht aber elegant in Schale geworfen und was sie singen ist ernst und tief und endet doch in großer Heiterkeit. Einmal wagen sie sich sogar an eine Fuge, und das Ergebnis lässt sich hören: klar geschieden laufen die Stimmen nebeneinander, kreuzen oder verschlingen sich. Und was für Stimmen! Silbern klingen die der Frauen, staatstragend die der Männer. Kein Rasseln von Raucherstimmen ist zu vernehmen, kein Bierbelag, als ölte man sich beim NDR ständig die Stimme mit Smoothies. Was man aber bei all der großen Leistung der Sänger hindurch hört, das ist ihr etwas bemüht daherkommender Perfektionismus. Schließlich geht es um Klang, und da darf sich der NDR um keinen Preis eine Blöße geben.

Man merkt an so einem Beispiel, wie sehr die Chöre auch darauf achten, ihren Betrieb zu repräsentieren. Beim Chor der Lufthansa braucht man dafür nur ins Programm zu schauen. Sie singen ausschließlich Lieder aus den 60er Jahren, der Zeit, in denen die Deutschen massenhaft die weite Welt erschlossen: „Kalkutta liegt am Ganges“, „Cafe Oriental“, „Aloha-oe“ und „Arrividerci Hans“.

Aber nach diesem Ausflug landet der Abend dann doch noch in der norddeutschen Tiefebenen, und zwar mit dem gemeinsam gesungenen Schlusslied: „In Hamburg sagt man Tschüs.“