Klopperei fällt aus

Nach dem 36 : 36 Unentschieden beim HSV Hamburg hat der THW Kiel im Meisterschaftsrennen der Handball-Bundesliga alle Trümpfe in der Hand. Und inzwischen auch die Zuschauer für sich begeistert

VON RALF LORENZEN

Als Hamburgs Kreisläufer Iwan Ursic Sekunden vor Schluss beim Spielstand von 36 : 36 abzieht, hoffen nicht nur 12.000 Hamburger Handballfans, dass der Ball den Weg ins Tor findet. Noch mehr zittert die kleine Delegation der SG Flensburg-Handewitt, die eigens von der Förde angereist ist. Ein Sieg der Hamburger hätte für die Flensburger den Weg zur Meisterschaft wieder frei gemacht.

Aber Ursic scheitert an Kiels Torwart Matthias Andersson und die Flensburger ärgern sich umso mehr, im letzten Heimspiel gegen die Nobodys aus Göppingen einen Punkt abgegeben zu haben. Jetzt müssen sie auf einen Ausrutscher der Kieler hoffen, die andernfalls im nächsten Spiel an ihnen vorbeiziehen könnten.

Die Hamburger dagegen müssen sich beim dänischen Europameister Hans Lindberg bedanken, dass sie in diesem temporeichen und attraktiven Spiel überhaupt noch einmal die Chance zum Siegtreffer hatten. Fünf Minuten vor Schluss glich der Rechtsaußen mit einem brillantem Hattrick einen Drei-Tore-Rückstand aus und brachte die Zuschauer in der endgültig an den Rand des Nervenzusammenbruchs.

Wenn ein Außenspieler wie Lindberg mit sechs Toren zum erfolgreichsten Werfer seiner Mannschaft wird, spricht das für variantenreiche Kombinationen. „Wir haben Angriffsleistungen auf höchstem Niveau gewonnen“, analysierte Hamburgs Trainer Martin Schwalb. Seine Mannschaft zeigte sich von dem unglücklichen Aus in der Champions League gut erholt und ging mit fast jedem Angriff erneut in Führung, die der starke Kieler Rückraum mit Karabatić, Andersson und Lövgren aber immer wieder postwendend ausglich.

Dass Hamburgs Abwehrreihen das hohe Niveau anfangs nicht mithalten konnten, lag auch an den Stammtorhütern Johannes Bitter und Thierry Omeyer, die sich früh auswechseln ließen. Hamburgs zweiter Schlussmann Per Sandström wuchs in der zweiten Halbzeit zwar über sich hinaus, dafür schlief seine Deckung bei etlichen Abprallern, die die Kieler Angreifer dankbar zur zweiten Chance nutzten.

Kiels überragendem Kapitän Stefan Lövgren taten nach dem Spiel alle Knochen weh. „Ja, es war sehr hart“, sagte er, „aber das ist normal für so ein Spiel.“ Trotz giftiger Zweikämpfe im Spiel und erregter Stimmung auf den Rängen gab es kaum wirklich hässliche Szenen auf dem Parkett. „Dafür sind im Handball zu viele intelligente Menschen beschäftigt“, sagte Martin Schwalb.

Genau das bestritt Kiels Trainer Noka Seradusić. Auf der Pressekonferenz beschwerte er sich über „Idioten“ unter den Journalisten. Die Hamburger Morgenpost hatte am Spieltag in einer Täter-Opfer-Bildmontage vor den „fiesen Attacken“ der Kieler gewarnt, von denen man sich nicht „verkloppen“ lassen dürfe. Der Autor der Geschichte traute sich nach Spielschluss dennoch in die Mixed-Zone, wo er heftige Beschimpfungen der Kieler Delegation um Manager Uwe Schwenker über sich ergehen lassen musste.

Fröhlicher gestimmt war Hamburgs Manager Piet Krebs. „Ich muss jetzt schnell nach Hause, das viele Geld zählen“, sagte er mit Blick auf die Rekordeinnahmen aus zwei ausverkauften Spielen hintereinander. Als Belohnung für die Fans kündigte er an, die Preise für Dauerkarten erst nach dem 30. Juni „maßvoll zu erhöhen“.

Obwohl der HSV nach diesem Punktverlust wohl auch in dieser Saison ohne Titel bleibt, ist der Hamburger Handball nicht nur spielerisch in der Königsklasse angekommen. Auch die Atmosphäre in der Halle hat sich in dieser Saison vom Kühlschrank zum Hexenkessel gewandelt. Einige Zuschauer scheinen die Grenze zwischen Leidenschaft und schlechtem Benehmen zwar noch nicht zu kennen, aber das ist in Kiel, Flensburg oder Ciudad Real auch nicht anders.