Raus aus dem Pizza-Keller

Schwarz-Grün hat Signalwirkung für Berlin. Keiner in der CDU widerspricht, die Kanzlerin aber hält sich zunächst bedeckt

AUS BERLIN RALPH BOLLMANN
UND WOLF SCHMIDT

Als sich junge Abgeordnete von CDU und Grünen Mitte der Neunzigerjahre im Kellerraum eines Bonner Restaurants trafen, hatten das etwas Konspiratives. Die Bezeichnung „Pizza-Connection“, mit der die CSU die Treffen belegte, war bewusst dem Jargon des Mafiösen entlehnt. Dass die beiden Parteien jenseits der Kommunalpolitik zusammenfänden, schien unwahrscheinlich.

Jetzt ist Schwarz-Grün aus dem Keller in die Beletage aufgestiegen, genauer: in die neobarocken Sitzungssäle des Hamburger Rathauses. Das eröffnet Perspektiven auch für die Bundespolitik. Doch anders als in den Neunzigern will kaum noch jemand in der CDU dagegen sein. Klar ablehnend äußerte sich neben der CSU am Donnerstag nur der Mittelstandspolitiker Josef Schlarmann, der sich mit seiner harschen Kritik an der Kanzlerin ohnehin zum Außenseiter gemacht hat. Der mittelstandspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Michael Fuchs, verlangte zwar den Erhalt funktionierender Infrastrukturen für den Hamburger Hafen. Er habe aber „nichts dagegen, den Koalitionshorizont zu erweitern“, sagte er der taz.

Selbst die Einführung einer sechsjährigen Grundschule animiert die Parteifreunde aus anderen Bundesländern nicht zu offenem Protest, obwohl ihnen das Gymnasium ab der fünften Klasse bislang als heilig galt. „Jedes Bundesland muss seinen eigenen Weg gehen, aber wir halten nichts von der sechsjährigen Grundschule“, sagte ein Sprecher des baden-württembergischen Kultusministers Helmut Rau (CDU) der taz. „Hamburg wird kein Vorbild für Bayern darstellen“, sagte in München Kultusminister Siegfried Schneider (CSU). Direkte Kritik an der Hamburger Koalitionsvereinbarung vermied aber auch er.

Nach den Verschiebungen im Parteiengefüge sehen parteiinterne Befürworter schon Perspektiven für Schwarz-Grün auf Bundesebene – und das ganz ohne FDP. Die Rechnung geht so: Dank des Kanzlerinnenbonus, der Schwäche der SPD und eines Plus bei liberalen Großstädtern kommt die Union auf mehr als 40 Prozent. Die Grünen sammeln akademische Wechselwähler ein, denen die Beck-SPD nicht intellektuell genug ist – und überflügeln damit eine FDP, die durch ihre neue Offenheit gegenüber der SPD die wirtschaftsliberale Klientel vergrault, ohne in linksliberalen Milieus zu gewinnen.

So könnte eine Konstellation entstehen, die wie in Hamburg Schwarz-Grün als einzige Alternative zur großen Koalition zulässt. Das wäre auch für die Grünen einfacher als jedes der umstrittenen Dreierbündnisse. „Eine Koalition mit Angela Merkel ist den Grünen-Wählern leichter zu vermitteln als ein Bündnis mit Guido Westerwelle“, glaubt einer, der schon bei der Pizzarunde dabei war.

Nicht einmal aus Hessen, wo sonst der Widerstand gegen solche Perspektiven zu vermuten wäre, kommen kritische Stimmen. Im Gegenteil, als geschäftsführender Ministerpräsident muss Roland Koch derzeit zumindest so tun, als mühe er sich nach Kräften um die Gunst der Grünen.

Die Kanzlerin selbst hält sich derweil auffallend zurück. Sie dient sich nicht mehr der FDP an wie noch im Wahlkampf 2005. Dem Hamburger Ergebnis erkannte sie gestern nur eingeschränkte Signalwirkung zu: Schwarz-Grün sei im Bund „sehr unwahrscheinlich“. Die Schnittmengen seien auf dieser Ebene „nicht so groß“. Manch einem Jüngeren in der Union schwant gar, Merkel freunde sich mit einer Neuauflage der großen Koalition allmählich an.

Die ironische Ankündigung des grünen Spitzenkandidaten Jürgen Trittin, er wolle mit einer Kanzlerin Merkel „einen Mindestlohn einführen oder Atomkraftwerke abschalten“, dürfte die Kanzlerin von einem Wechsel zu den Grünen allerdings kaum abhalten. Um beide Themen streitet sie sich auch mit ihrem jetzigen Koalitionspartner SPD.