Arme Kinder sind nicht trendy

Gegen den Bundestrend steigt in Hamburg die Zahl der Kinder, die von ALG II leben. Frauen profitieren kaum von sinkender Arbeitslosigkeit. Schwarz-Grün plant Härtefall-Gebühr für Kita-Plätze

Auszüge aus dem Koalitionsvertrag: Sprachförderung soll ein Kriterium für einen Kita-Ganztagesplatz sein. Ein Attest der Kita soll beim Jugendamt eingereicht werden und „im Regelfall“ ausreichend sein. Ab 2009 sollen alle Zweijährigen einen Krippen-Rechtsanspruch bekommen. Bis dahin dürfen Kinder, die Geschwister bekommen, bis zu ein Jahr in der Krippe bleiben. Das letzte Kita-Jahr wird kostenlos. Es soll mehr Straßensozialarbeiter geben. Das Büchergeld bleibt, es soll aber geprüft werden, ob Menschen mit wenig Einkommen befreit werden. Der Besuch der Vorsorge-Untersuchungen beim Kinderarzt für Zwei- und Dreijährige wird künftig verbindlich kontrolliert. KAJ

VON KAIJA KUTTER

An stetig steigende Zahlen von Kinderarmut in Deutschland war man im vergangenen Jahr gewöhnt. Da überraschte gestern diese Nachricht: Im Bundesdurchschnitt ging die Zahl der Kinder unter 15 Jahren, die von Leistungen nach Hartz IV leben müssen, 2007 um 2,5 Prozent zurück. Lediglich in den Metropolen Hamburg und Berlin stieg deren Zahl um 0,4 beziehungsweise 0,6 Prozent sogar noch an.

Errechnet hatte dies Paul Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung (BIAJ) aus Daten der Bundesarbeitsagentur. Waren im Dezember 2006 die Eltern von 54.019 Hamburger Kindern auf Arbeitslosengeld II angewiesen, so waren es ein Jahr später 54.251. In der Hamburger Arbeitsagentur spricht man von einem „nicht so relevanten Anstieg“. „Wichtig ist, dass Hamburg sinkende Arbeitslosenzahlen hat“, sagt auch der Sprecher der Sozialbehörde Rico Schmidt. „Das ist der Punkt, wo etwas getan wird.“ In der Tat ging in diesem Jahr die Zahl der Arbeitslosen und auch die der erwachsenen ALG II-Empfänger zurück.

Doch wie der Bremer Paul Schröder analysierte, profitieren davon überwiegend Männer. Fast 2.000 der rund 74.000 Männer konnten sich aus dem ALG II-Bezug lösen (minus 2,7 Prozent), während die fast ebenso hohe Zahl der Frauen, die von ALG II leben, sich kaum veränderte. Mütter scheinen vom Aufschwung auf dem Hamburger Job-Markt am wenigsten zu profitieren.

Die hohe Zahl der Kinder, die von der Stütze leben, war erst nach der Einführung der Agenda 2010 zustande gekommen: Noch 2003 lebten nur rund 40.000 Hamburger Kinder von der damaligen Sozialhilfe.

Diakonie-Fachreferent Dirk Hauer bezeichnet die wachsende Kinderarmut als „dramatisch, besonders angesichts der explodierenden Lebensmittelpreise“. Einem Kind stehen nach ALG II am Tag nur 2,57 Euro für Essen zur Verfügung, einem Flüchtlingskind sogar nur 1,80 Euro. „Für eine gesunde Ernährung bräuchte eine 13-Jährige laut dem Empfehlungen eines Instituts für Kinderernährung aber mindestens 5,52 Euro am Tag“, sagt Hauer. Eine Anhebung der Regelsätze ist daher aus seiner Sicht dringend nötig.

Der designierte CDU-Sozialsenator Dietrich Wersich hatte im Sommer behauptet, die Hartz IV-Sätze reichten für eine gesunde Ernährung aus. Es sei eine Frage von „Motivation und Kompetenz der Eltern“, ob zu Hause gesund gekocht werde. Dagegen ist die GAL-Jugendpolitikerin Christiane Blömeke überzeugt, dass man „von 207 Euro Regelsatz keinen 14-Jährigen ordentlich ernähren kann“.

Die Höhe der Regelsätze ist Bundessache. Die frisch gebackene Schwarz-Grüne Koalition hat aber immerhin ein paar kleine Erleichterungen für arme Familien beschlossen: Zum Beispiel soll es künftig auch für Kinder mit Sprachförderbedarf wieder Sechs- oder Acht-Stunden-Plätze in Kindertagesstätten geben – auch wenn die Eltern nicht berufstätig sind. „Die Kitas können das unbürokratisch beantragen“, sagt Blömeke. Auch soll es eine erweiterte Härtefall-Regel bei der Kita-Gebühr geben: Bisher wurde die Mindestgebühr für Vier-Stunden-Plätze in Einzelfällen auf 15 Euro pro Monat gesenkt. Künftig soll dies auch für Fünf-Stunden-Plätze mit warmem Mittagsessen oder sogar für Ganztagesplätze möglich sein. Ihre Forderung, die Kitas für ALG II-Empfänger gänzlich kostenlos anzubieten, setzte die GAL allerdings nicht durch.