Dubioser Verein hat freie Bahn

Seit Monaten sammelt der Verein „Kinder in Not“ in der Sögestraße Spenden. Dass nur ein kleiner Teil des Geldes bei Kindern ankommt, bestreitet der Verein nicht. Die Stadt gibt sich machtlos

von Felix Zimmermann
und Eiken Bruhn

Wer spendet, ist selbst schuld. Auf diese Formel lässt sich der Umgang mit dem Verein „Kinder in Not“ bringen, über dessen mangelnde Seriösität seit Monaten die Medien mehrerer norddeutscher Städte berichten. Während Verbraucherschutzzentralen warnen und die Staatsanwaltschaft Lüneburg wegen Betrugsverdachts ermittelt, gehen die Sammlungen weiter – obwohl der Verein bereits seine Selbst-auflösung angekündigt hatte.

Auch in Bremen sammelt der Verein regelmäßig, etwa am Dienstag in der Sögestraße. Zwei Frauen verteilen Broschüren aus einer Art Einkaufswagen, beklebt mit dem Foto eines weinenden Kindes. „Helfen tut so gut...“ steht auf einem Faltblatt. Und: „Wir helfen krebskranken Kindern.“ Geld kann man auf unterschiedliche Weise loswerden: In die Spendenbüchse, eine „einmalige Spende“ per Überweisung oder eine „Fördermitgliedschaft“. Am Ende des Flyers steht, was mit dem Gespendeten geschieht: „Der Netto-Verwaltungsaufwand beträgt im Einzelfall bis zu max. 50% des Erlöses.“

Was mit der anderen Hälfte geschieht, bleibt nach einem Anruf bei Vereinssprecher Jürgen Wissner in Bardowick bei Lüneburg unklar. Zwischen 3.000 und 5.000 Euro kämen bei den Sammlungen monatlich rum, sein Verein – der nicht als gemeinnützig anerkannt sei, wie Wissner zugibt – sammle „für sich selbst“. Einmal im Monat entscheide der Vorstand, wieviel er an wen weitergebe. Dann wieder sagt Wissner, das Geld gehe „per Dauerauftrag an 21 Projekte in ganz Niedersachsen und in Hamburg“. Als Beispiel nennt er das Kinderkrankenhaus in Delmenhorst. Doch das hat keinen Cent gesehen, wie eine Klinik-Sprecherin sagt. „Die haben unseren Chefarzt gefragt, aber er hat abgelehnt, weil es ihm dubios vorkam.“ Und: „Wir distanzieren uns von diesem Verein. Er handelt nicht in unserem Auftrag.“ Gleiches gilt mittlerweile für die Braunschweiger Kinderklinik, Wissners zweites Beispiel. Gestern verschickte die Klinik eine Erklärung, keine weiteren Spenden mehr annehmen zu wollen. 800 Euro habe die Klinik erhalten, verteilt über mehrere Monate, sagt eine Sprecherin.

Eine Antwort auf die Frage, welche krebskranken Kinder von „Kinder in Not“ profitieren würden, bleibt Wissner ganz schuldig. So hatte die Elterninitiative krebskranker Kinder in Oldenburg darauf hingewiesen, nichts mit dem Verein zu tun zu haben. Wissner sagt dazu, man arbeite mit solchen Elterninitiativen zusammen. Mit welchen? „In drei Städten.“ Wie heißen diese? „Das kann ich Ihnen nicht sagen.“

Das Spendensiegel des „Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen“ in Berlin hat der Verein nicht und wollte sich von diesem auch nicht in die Karten gucken lassen, wie dessen Geschäftsführer, Burkhard Wilke, sagt. „Trotz dreimaliger Bitte wurden uns nicht die Unterlagen wie ein Tätigkeitsbericht oder die Satzung geschickt, anhand derer wir die Seriösität überprüfen können.“

Doch trotz aller nachweisbaren Ungereimtheiten ziehen die Sammler weiter durch die Fußgängerzonen. Die Lüneburger Ermittlungen blieben ergebnislos, wie eine Polizeisprecherin gestern sagte. „Das Problem ist, dass ein Verein im ersten Jahr einen hohen Teil der Einnahmen für eigene Zwecke ausgeben darf.“ Solange der Betrug nicht bewiesen sei, argumentieren die Bremer Ordnungsbehörden, könnten auch sie nichts tun. Eine Sammlungserlaubnis brauche man in Bremen nicht mehr, so die Sprecherin des Innensenators, Antje Grotheer. Theoretisch dürfe sich jeder, der wolle, mit einer Büchse hinstellen. Nur für einen festen Stand brauche es eine Sondergenehmigung, ein Handwagen zähle aber nicht dazu.

In Hamburg sah man das anders. Da wartete das Bezirksamt Mitte nicht wie die Bremer darauf, dass der Verein eine Sondergenehmigung beantragt, sondern wurde selbst aktiv. „Wir haben einen Platzverweis ausgesprochen, weil die ihren mobilen Infostand ohne unsere Genehmigung aufgebaut haben“, sagt Amtsleiter Markus Schreiber. „Danach kamen sie nicht wieder. Jetzt sind sie wohl in Bremen.“