„Da geht kulturelle Identität verloren“

Es gibt viele Wege, um rechtlich einwandfrei und gleichwohl kostenlos an Musik oder Filme zu kommen, sagt der Bremer Rechtsanwalt Lambert Großkopf, der vor Gericht vor der Musikindustrie Verklagte vertritt. Ein Gespräch über Nutzen, Grenzen und Schaden des Urheberrechts

LAMBERT GROßKOPF ist promovierter Fachanwalt für Informationstechnologie, Urheber- und Medienrecht sowie Lehrbeauftragter an Universität und Hochschule Bremen.

Interview: Jan Zier

taz: Warum sind Musiktauschbörsen im Grunde genommen überflüssig, Herr Großkopf?

Lambert Großkopf: Es gibt andere Wege, um legal an die Musik zu kommen.

Kaufen.

Oder ich installiere mir ein Internetradio und schneide die Übertragung mit. Das ist eine Privatkopie und die ist zulässig. Dafür gibt es inzwischen hervorragende und komfortable Programme, mit denen man auch einzelne Musikstücke ermitteln kann, so dass man keine Raubkopien mehr aus dem Netz ziehen muss. Viele wissen das nicht, die Schulen und Jugendverbände müssten das also viel stärker verbreiten. Dann würden viele Jugendliche nicht mehr kriminalisiert werden.

Aber Filesharing an sich ist ja nicht verboten.

Sonst wäre ja auch die Internet-Telefonie verboten. Verboten ist, urheberrechtlich geschützte Werke zum Herunterladen bereitzuhalten, für die ich keine Lizenz habe.

Und was ist mit der Musik, die ich offiziell auf CD oder als MP3 gekauft habe?

Solange es sich um eine geschlossenen Benutzergruppe handelt, kann ich über Filesharing auch meine Musik verbreiten – vorausgesetzt, dass ich eine nachweisbare persönliche Beziehung zu den Teilnehmern habe. Gibt es so eine Beziehung aber nicht, kann ich mich auch nicht auf das Recht der Privatkopie berufen.

Aber Stadtplanausschnitte auf Geburtstagseinladungen drucken darf ich nicht.

Das ist unzulässig, nur sind einem neuen Gesetz zufolge die anwaltlichen Abmahngebühren jetzt auf 100 Euro gedeckelt. Hinzu kommen natürlich noch die Lizenzgebühren: In einem konkreten Verfahren wurden dafür 1.200 Euro fällig. Dagegen hilft nur selbst zeichnen.

Aber lässt sich solch eine Nutzung von Stadtplänen denn verhindern?

Nein. Was digital ist, lässt sich leicht vervielfältigen. Meist wird das ja auch nicht verfolgt, weil keiner Kenntnis davon erlangt.

Allerdings können neuerdings Rechteinhaber von Dritten, die gar nicht ihre Rechte verletzen, Auskunft über NutzerInnen verlangen.

Ja, aber dafür muss ein gerichtliches Verfahren in die Wege geleitet werden. Und die Verletzung muss ein „gewerbliches Ausmaß“ haben – das kann auch der Fall sein, wenn man keine Einnahmen erzielt. Früher mussten die Rechteinhaber Anzeige erstatten, um Auskunft über NutzerInnen zu erhalten. Die hierdurch entstehenden Kosten hat am Ende die Staatskasse gezahlt, während die Tonträgerhersteller den Schadensersatz behalten haben. Hierdurch wurden die Kosten sozialisiert und die Gewinne privatisiert.

Vor einiger Zeit hat ein Tonträgerhersteller ein Verfahren verloren, weil er nicht nachweisen konnte, dass er auch die Rechte an der Musik hat.

In diesem Fall ging es um das Stück „In the Midnight Hour“ von Warren G. „Peppermint Records“ konnte nicht nachweisen, dass sie auch die Rechte an dem Stück haben. Ist die Lizenzkette, die bis hin zu den Komponisten und Textern reicht, an einer Stelle durchbrochen, dann hat auch ein großer Hersteller keine Rechte an der Musik.

Er hätte die CDs also nie produzieren dürfen?

Eigentlich nicht. Die entsprechenden Verträge waren noch nicht einmal unterzeichnet.

Was haben die Künstlerlnnen von den Klagen der Musikindustrie?

In den USA hat sie Millionenbeträge über die Verfolgung von Filesharern eingenommen, schüttet dieses Geld aber nicht an die KünstlerInnen aus. Im Moment wird darum gerichtlich gestritten. Ob die Verfahren zu Gunsten der KünstlerInnen ausgehen, ist aber noch nicht sicher.

Kann sich die Musikindustrie also über Prozesse gegen Filesharer sanieren?

So könnte man es annehmen.

Hilft das Urheberrecht auch gegen Werbepausen in Filmen?

Wenn willkürlich Werbeunterbrechungen eingefügt werden, dann ist das auch eine unzulässige Verletzung des Urheberrechts. Dafür muss aber der Spannungsbogen so verfälscht sein, dass keine Einheit mehr erkennbar ist. Aber die Filmemacher leben von Rundfunkanstalten, die Werbepausen werden daher schon im Drehbuch berücksichtigt.

Und manchmal kann durch die Verletzung von Urheberrechten auch Großes entstehen, so wie bei Walt Disney.

Er war ein Pirat, der seine Zeichentrickfilme abgekupfert hat. Andererseits hat er eine kulturelle Entwicklung vorangetrieben. Heute ist alles mit einem Erlaubnisvorbehalt versehen. Dabei geht auch ein Stück kultureller Identität verloren. Nur etwa zwei Prozent der urheberrechtlich geschützten Werke sind überhaupt noch verfügbar. Das heißt: 98 Prozent dieser Werke schlummern irgendwo und keiner nutzt sie – weil die Gefahr besteht, dass sich irgendwann jemand meldet und sagt: Jetzt möchte ich eine Lizenzgebühr haben.

Aber es gibt auch den umgekehrten Fall: Viele nutzen das legendäre RAF-Bild vom entführten Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer. Aber keiner zahlt dafür.

Irgendwer hat auch an diesem Foto ein Urheberrecht. Alle, die es heute drucken, verletzen auch dessen Recht. Aber wer dieses Recht anmeldet, wird sofort wegen Mordes verhaftet. Analog ist es auch bei den Fotos aus Stammheim, auf denen die zu Tode gekommenen RAF-Gefangenen zu sehen sind. An diesen Fotos hat ein Bediensteter der Staatsanwaltschaft die Rechte. Der Justizminister von Baden-Württemberg könnte sie lizensieren – und Geld für den Nachdruck verklangen. Er sollte dies meiner Meinung auch tun. Dieses Geld könnte RAF-Opfern zugute kommen. Aber der Staat sagt, er will damit keine Geschäfte machen.