Der Klassenstandpunkt

Das Festival „Palast der Projekte“ im HAU begann mit zwei Stücken über das Leben im Kapitalismus. „Loan Shark“ handelt vom Geld, hat aber keine Ahnung davon. „Nothing Company“ dagegen zeigt elegant die Unmöglichkeit von Protest im Theater

VON JÖRG SUNDERMEIER

Die gute alte Kapitalismuskritik ist im Theater en vogue wie schon seit den 70er-Jahren nicht mehr. Nur hat die Theaterszene ein paar Dinge in all den Jahren freiwillig aufgegeben, unter anderem den Klassenstandpunkt oder die Stamokap-These, hat aber nichts Neues hinzugewonnen. So fehlt den Stücken, in denen der Kapitalismus kritisiert werden soll, oft der Konflikt, der das Stück motivieren könnte. Stattdessen wird gekreischt oder gejammert, werden Schauspieler und Schauspielerinnen kreuz und quer über die Bühne getrieben und sollen dabei irgendwie auch noch spielen, dass sie ihren Job verloren haben, dass sie keinen Sex mehr haben oder dass der Computer kaputt ist.

Heiner Müller, so wird in dem Prospekt zum vorgestern im HAU gestarteten Festival „Palast der Projekte“ zitiert, sei überzeugt gewesen, dass Kunst nur aus der Niederlage heraus entstehe. Diese These Müllers ist mehr als fragwürdig, vielleicht jedoch aus seiner Verzweiflung in seinen letzten Lebensjahren zu erklären. Carena Schlewitt, die Mitbegründerin des HAU, schreibt dazu: „Zum ‚glanzvollen Scheitern‘ sei angemerkt: Das ist zwar ein oft gebrauchter Terminus, aber im Grunde fehlen Beschreibungskriterien, wie das Scheitern in der Kunst überhaupt gedacht werden kann und welche Arten da beispielsweise zu unterscheiden wären.“

Das stimmt etwas traurig, und es lässt befürchten, dass auch im „Palast der Projekte“, obschon so große Namen wie Georg Seeßlen, Carl Hegemann oder Showcase Beat Le Mot aufgefahren werden, vor allem irgendwie irgendwas an irgendwas anderem schuld ist, wie oft im Theater, wenn die Inszenierenden keine Ahnung von ökonomischen Prozessen haben. Aber trotzdem ernst genommen werden wollen mit der These, das Geld als solches sei schuld, wenn Armut herrscht, und gehöre somit abgeschafft. Vorgestern wurde das Festival mit zwei Stücken eröffnet. Zugleich wurde eindrucksvoll demonstriert, wie man es machen kann und wie nicht. Das zweite Stück des Abends, „Loan Shark“ von Chris Kondek, sieht dabei schlecht aus. Denn dort erlebte man gescreente Filmschnipsel und Expertenmeinungen zum Themenfeld Pfandleihe, Wechselkurse oder Kreditwesen, auch war Chris Kondek sehr gut vorbereitet und lud sein Publikum zum Mitspielen ein. Doch litt das Stück darunter, dass die professionellen Mitspieler Kondeks selbst nicht verstanden hatten, wie das mit diesen Zinsen und Krediten denn nun genau geht. So erfuhr man lediglich, dass es ein Bankenwesen gibt, das sein Unwesen treibt. Zudem litt die Inszenierung an der Spielunwilligkeit des allzu divenhaften Lars Rudolph. So blieb das Treiben der Banken im Dunkel und der Sinn des Stückes ebenso.

Ganz anders das erste Stück des Festivals, „Nothing Company“ von dem Züricher Ensemble Fad A Day Company, bei dem Thomas Schweigen Regie führt und zu dem die gerade im Spiegel hochgelobte Laura De Weck einen Audiokommentar verfasst hat. In „Nothing Company“ geht es im das diffuse Moment im heutigen Protest gegen den Kapitalismus – sei es in NGOs, in Terrorgruppen oder in einer vermeintlich „sauberen“ Firma. Vor allem aber um die Unmöglichkeit, diesen Protest heutzutage im Theater zu zeigen, sofern man denn auf den Klassenstandpunkt etc. verzichten will.

Die fünf SchauspielerInnen spielten in dem Stück gegen die Konventionen des Theaters an, nahmen ihr eigenes Stück im live auf der Bühne gesprochenen Audiokommentar, den man allerdings nur über Kopfhörer empfing, vollends auseinander, und verwirrten das Publikum aufs Schönste, indem sie es nicht meinten, während sie es ansprachen. Leider wurde am Ende, in einem großen Monolog, dann doch noch mal erklärt, worum es hier eigentlich gehen sollte. Damit unterschätzte man die Intelligenz des Publikums, das sich in der Stunde zuvor an einem wunderbaren Theaterspiel erfreuen konnte, an einer von Text über Bühnenbild bis zur Regie äußerst präzisen und liebevoll gemachten Vorstellung. Auch die Moral der Geschicht’ hatte man verstanden. Hier zeigte sich, dass es nicht um Niederlagen und um „glanzvolles Scheitern“ gehen sollte, sondern um ein gutes Thema, und sei das Thema zur Not das Theater selbst. „Nothing Company“ läuft heute und morgen noch mal und ist nachdrücklich empfohlen!

Festival „Palast der Projekte“, noch bis zum 30. 4., Spielplan unter www.hebbel-am-ufer.de