Spannend, aber gefährlich

Wie findet die taz nord Schwarz-Grün? In dieser Woche schreibt täglich eine Redakteurin oder ein Redakteur, was sie oder er von der neuen Koalition in Hamburg hält

VON KAIJA KUTTER

Es gibt Zeiten, da ist es Qual, sich eine Meinung zu bilden. Es wäre leicht, den schwarz-grünen Koalitionsvertrag als in vielen Punkten nicht weitgehend genug zu verdammen. Und es ist leicht, sich davon faszinieren zu lassen, dass beispielsweise in der Schulpolitik plötzlich Dinge gehen, die vorher nicht denkbar waren. Dass wir also die Kröten Moorburg und Elbvertiefung – garniert mit ökologischen Ausgleichmaßnahmen, längeren Radwegen und einer Straßenbahn – hinnehmen und dafür ein weniger selektives Schulsystem bekommen.

„Wo bleibt das Soziale“, fragte Ver.di gleich nach Abschluss des Koalitionsvertrages und hat teilweise Recht. Es fehlen plakative soziale Themen. Es gibt weiter Büchergeld und kein kostenloses Mittagessen in den Kitas und auch keine Forderung nach dem Mindestlohn oder einer höheren Vermögenssteuer. Aber es gibt eben Veränderungen im Bildungsbereich, die auch den Kindern aus ärmeren Familien bessere Chancen bieten und damit mittelbar die soziale Spaltung bekämpfen.

In die Kita dürfen künftig schon zweijährige Kinder, egal ob ihre Eltern arbeiten oder nicht, 50 neue Ganztagsgrundschulen sollen in Gebieten mit ungünstigen Sozialdaten entstehen. Der Vorschulbesuch wird kostenlos. Und die Kinder dürfen dann in der Primarschule sechs Jahre gemeinsam lernen, bevor sich die Wege in Stadtteilschule und Gymnasium teilen.

Doch die Pläne für die Primarschule bergen Risiken, das wurde schon vor Abschluss der Koalition deutlich. Es soll mehrere Formen der Primarschule geben, darunter auch jene, die ab Klasse 4 oder gleich ab Klasse 1 mit einem Gymnasium kooperieren. Für Eltern macht das die Sache kompliziert. Da auch noch die Schulformwahl nach Klasse 4 wegfällt, haben manche das Gefühl, entmündigt zu werden – auch wenn schon bisher dieser Elternwille oft von kurzer Dauer war, weil Kinder mit Fünfen das Gymnasium verlassen mussten. Diesen Unmut will die SPD noch weiter schüren (siehe unten). Er kann aber schlicht als Argument für noch längeres gemeinsames Lernen genutzt werden.

Die Reform könnte aber auch grausam enden, in einem System, in dem sich die Eltern schon um die begehrtesten Grundschulplätze für ihre Fünfjährigen prügeln. GAL-Politikerin Christa Goetsch, die als künftige Schulsenatorin heute ihre Pläne der GEW vorstellt, hat das Kompromissangebot der CDU angenommen, weil sie die Risiken für beherrschbar hält. Goetsch ist zuzutrauen, dass sie diese Reform meistert. Wie gut, wird davon abhängen, ob wirklich alle Grundschulen gleichwertig bleiben.

Stand ihre Amtsvorgängerin Dinges-Dierig für Notenzwang und Leistungsideologie, so steht Christa Goetsch für eine offene Diskussionskultur und eine reformfreudiges Klima. Nicht vorstellbar, dass sie Maulkörbe erlässt und kritische Schulleiter disziplinarisch verfolgt, wie ihre Vorgängerin es tat.

Auf die Personen kommt es auch in den anderen Ressorts an. Der designierte CDU-Sozialsenator Dietrich Wersich zum Beispiel könnte den Kita-Ausbau ganz gut managen, steht aber noch vor weit mehr Herausforderungen. Die Kinderarmut zum Beispiel: Jedes vierte Kind in Hamburg lebt von Hartz IV und hat am Tag nur 2,57 Euro zum Essen. Andere Länder denken über kostenlose Schulspeisung nach – ein Thema, das in 63 Seiten Koalitionsvertrag nicht vorkommt. Aber vielleicht bald in einer Anfrage der rot-roten Opposition.