Das Wunder von Kiel

Den Pokal haben sie schon, und nach dem Sieg gegen den TBV Lemgo könnten die Spieler des THW Kiel wieder Deutscher Handball-Meister werden. Auch in der Champions League sind die Chancen gut

AUS KIEL CHRISTINA STEFANESCU

Bescheidenheit hört sich anders an. „Zehn, zwölf Weltmeister und Vizeweltmeister machen noch keine gute Mannschaft“, sagt Uwe Schwenker, Geschäftsführer des THW Kiel. Stimmt: Die Ligakonkurrenten aus Kronau oder Hamburg haben den THW in Sachen Etat überholt, Weltklassespieler gekauft – und trotzdem in dieser Saison bisher keine Titel errungen. Die Rhein-Neckar Löwen stehen immerhin im Finale um den Europapokal der Pokalsieger. Der HSV Hamburg hingegen wird wohl leer ausgehen. Die Mannschaft ist derzeit nur Dritter in der Liga, hat nur noch theoretische Chancen auf den Titel. Ende März verloren die Hamburger das Finale um den DHB Pokal – gegen den THW Kiel. Und im Halbfinale der Champions League scheiterte der HSV vor eineinhalb Wochen an Ciudad Real.

Anders der THW: Deutscher Pokalsieger – zum fünften Mal, nach dem 32 : 27 am Samstag gegen den TBV Lemgo Favorit auf den Meistertitel, Favorit auch auf den Gewinn der Champions League– nach dem die Kieler im Halbfinale die erfolgreichste Vereinsmannschaft der Welt, den FC Barcelona, ausgeschaltet haben.

Nach engen Spielen wird von den Gegnern gerne die „individuelle Klasse“ des THW betont. Wenn etwa Thierry Omeyer wie am vergangenen Mittwoch im Spiel gegen den HSV erst kaum einen Ball zu fassen bekommt, schließlich aber mit einer Glanzparade gegen Iwan Ursic fünf Sekunden vor Schluss das 36 : 36 und damit einen entscheidenden Punkt im Kampf um die Meisterschaft rettet. Nikola Karabatic, Filip Jicha oder auch Kim Andersson können zudem Spiele mit ihren Toren auch schon mal im Alleingang entscheiden.

Aber es muss doch mehr sein. „Andere Mannschaften haben auch gute Spieler, aber vielleicht nicht den Zusammenhalt wie wir“, sagt Torwart Matthias Andersson. Und sein Torwartkollege Thierry Omeyer sagt: „Wir wissen, was Erfolg ist und wir wollen weiter Erfolg haben.“

Wenn ein Spiel zu seinen Ungunsten zu kippen droht wie zuletzt gegen den FC Barcelona, schafft es der THW, die Zeit auszuspielen und am Ende vielleicht noch ein, zwei wie gezaubert wirkende Spielzüge abzuschließen. Coolness könnte man das nennen, oder auch Abgezocktheit. Egal wie, diese Eigenschaft ist hart erarbeitet. Der THW hat in den vergangenen Jahren einige Spiele unglücklich verloren – etwa das Champions Legaue Finale 2000 gegen den FC Barcelona, das in den letzten fünf Minuten des Rückspiels entschieden wurde – und daraus gelernt.

„Unsere Spieler hassen das Wort Niederlage. Die wollen nicht verlieren, nie“, sagt Geschäftsführer Schwenker. Neue Spieler müssten in diese Mannschaft passen. Wer nicht passe, den versuche man wieder loszuwerden. Das Geschäftsführer-Trainer-Gespann Schwenker/Serdarusic, auch es ist Teil des Geheimnisses, hat in den vergangenen Jahren nur wenige Fehlgriffe getan. Nicht nur sie selbst, auch die Spieler, die mal beim THW waren, würden Ausschau nach neuen Spielern halten, sagt Schwenker. „Wir haben quasi Scouts, ohne sie dafür zu bezahlen.“ So geschehen bei Andreas Palicka, 21, der ab der kommenden Saison Matthias Andersson im Tor des THW ersetzen wird. Palicka spielt derzeit noch unter der Kieler Handball-Legende Magnus Wislander beim schwedischen Club Redbergslid, vermittelt wurde er vom Ex-Kieler Staffan Olsson. Schwenker: „Der hat zu mir gesagt, der Junge wird in drei Jahren der beste schwedische Torwart sein.“

Der Schwede Magnnus Wislander, der zwischen 1994 und 2002 mit dem THW sieben Mal Deutscher Meister wurde, hat noch eine andere Erklärung: „Vielleicht ist Noka das Geheimnis.“ Trainer Zvonimir „Noka“ Serdarusic also, von dem seine Spieler unisono sagen, er finde immer die richtigen Worte. Man kann Serdarusic einen „Meistermacher“ nennen, in den 15 Jahren, die er beim THW ist, wurden 24 der 27 Titel gewonnen. „Ich stehe mit Herz und Blut zu meiner Mannschaft, egal was passiert“, hatte er der taz nach dem Pokalgewinn im letzten Jahr gesagt. Vielleicht kann man das Geheimnis des THW Kiel so zusammenfassen: Alle stehen mit Herz und Blut zu diesem Verein. Ausnahmslos.