nebensachen aus prag
: In Tschechiens Bürokratie ist das Kafkaeske auf dem Rückzug

Franz Kafka ist in seiner Heimat endgültig museumsreif geworden: Tschechische Gerichte gehen online. Die Josef K.s dieser Welt können nun ihren Prozess bequem über den Rechner verfolgen, müssen nicht mehr auf langen Gängen herumlungern und in miefigen Dachkammern warten. Und was die Judikative vermag, können andere schon lange. Der hiesige Staatsapparat hat in den letzten Jahren eine radikale Schlankheitskur hinter sich gebracht. Endlosformulare und absurde Bestätigungen sind out. Will heißen, dass Bürokratiephobiker wie ich sich hier wohler als je zuvor fühlen.

Beispiel Aufenthaltsgenehmigung, früher ein beliebtes Gesprächsthema: „Hast du schon deine Aufenthaltsgenehmigung?“ „Nein, ich warte noch auf meinen Strafregisterauszug aus (beliebiges Land einsetzen).“

Und die Ausländerpolizei erst. Die war so etwas wie der Golem der Prager Expat-Community. Ein von Menschenhand erschaffenes Monster, das einmal pro Jahr, nämlich wenn die alte Aufenthaltsgenehmigung auslief, seine hässliche Hand ausstreckte und primär dazu da war, die Länder der böhmischen Krone vor allem Fremden zu schützen.

Wer damals nicht mindestens an drei Tagen hintereinander fünf Stunden vor den Türen der Fremdenpolizei in der Schlange gestanden hatte, um dann unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu gehen, weil irgendein Stempel fehlte, der war noch nicht in Prag angekommen.

Heute dürfen zumindest wir Unionseuropäer auf diese Grenzerfahrung verzichten. Seit dem EU-Beitritt Tschechiens vor vier Jahren sind solche Aufenthaltsgenehmigungen nämlich obsolet. Allerdings, unter uns gesagt, auch schon früher musste man sich als EU-Bürger dieses ganze Prozedere eigentlich nicht wirklich antun.

Vom Gesetz her brauchte jeder Fremde, der länger als 90 Tage in Tschechien verweilte, zwar so einen Ausländerpass. Nur hat das niemand wirklich überprüft. Denn erstens waren die Ausländerbehörden eh viel zu sehr mit Russen, Ukrainern oder Vietnamesen beschäftigt, um auch noch auf die zu achten, mit denen man in ein paar Jahren zusammen in der EU sein würde.

Und zweitens gehen die Tschechen allgemein sehr lax mit dem Gesetz um. Das macht sie auch sehr sympathisch. Also nicht nur der Taxifahrer, der trotz Verbots links abbiegt, um sich einen Umweg von zwei Kilometern und mir drei Euro zu ersparen. Sondern auch die Dame vom Amt letztens, die ich zwecks Änderung meines Wohnsitzes wie auch meines Familienstandes aufsuchen musste: „Sie sind gesetzlich dazu verpflichtet, solche Änderungen innerhalb von zwei Wochen bei uns zu melden. Wie ich sehe, haben sie vor zehn Monaten geheiratet und sind vor vier Monaten umgezogen.“ Eine Belehrung im freundlichen Ton, keine Drohungen, keine Strafen.“

So mag ich meine Beamten, eher Hasek als Kafka. Andererseits kann ein solch weitverbreiteter Mangel an Gesetzesehrfurcht ja nicht gut enden. Tschechiens Gefängnisse sind überfüllt. So voll, dass Kleinkriminelle in Zukunft ihre Strafe zu Hause absitzen dürfen. Hausarrest statt Knast – überwacht wird das Ganze von einem Chip am Handgelenk.

Scheint, der Fortschritt macht selbst vor der Bürokratie nicht halt. SASCHA MOSTYN