berliner szenen Weit nach acht

Mythos Single

Sonntagmittag. M. hat schlecht geschlafen und ist miserabel gelaunt. Der Partylärm der Nachbarn dauerte bis fünf. Ein doppelter Espresso. Draußen steckt der Flieder Energie in die Knospen. Aufbruch. Wird auch Zeit.

M. hat Gesellschaft nötig, also, sich schön machen und ab in den Prenzlauer Berg. Alle anderen sind mindestens zu zweit am Start an diesem späten Mittag, verliebte Paare, gelangweilte auch, Familien mit Kindern und Freunden, ganze glückliche Sippen brunchen. Es ist unerträglich. M. verlässt das Café.

Flexible, erfolgreich und vor allem fröhlich seien Singles, hat M. in einem Magazin gelesen und was von Freiheit. Wenn sie eine neue Liebe träfen, müssten Singles erst im Terminkalender schauen, wann es ihnen passt. Woher das Magazin das wohl hat? Die Solos, die M. kennt, sind alle auf der Suche.

„Don’t compromise“ steht auf einem durchdesignten Bauzaun in der Schwedter Straße. Gute Idee. M. erinnert die beiden Verehrer, die ihr Avancen machen. Nichts prickelt. Im Mauerpark spazieren wieder nur Paare. Sonntag ist Paartag, denkt M. und läuft weiter ins Kino in den Film „Into the wild“. Gespräche der Nachbarn während des Abspanns und im Hinausgehen. Wie Rundumversorgte den eigensinnigen Supertramp verehren und es selbst keine einzige Nacht allein in der Wildnis schaffen würden, ist M. ein Rätsel.

„Guten Abend, Sie sind nicht zufällig Natascha? Es ist schon weit nach acht“, fragt der attraktive Mann, der an M.s Tisch getreten ist, mit wohlklingender Stimme. „Ach, wie schade, das hätte mir sehr gefallen“, sagt er auch noch. Das muss ein Lonely-Hearts-Date sein, realisiert M. Herzklopfen. Sie hält seinen Blick fest.

GUNDA SCHWANTJE