die taz vor zwölf jahren über die abwahl berlusconis in italien (die erste)
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Natürlich freut sich der gemäßigte Zeitgenosse, daß Italiens ultrarechte Nationale Allianz und mit ihr das Bündnis aus Neofaschisten und aggressiven Unternehmern nicht mehr an die Regierung kommt. Der Ausgang des Tunnels, den sich viele Bürger hinsichtlich der Regierbarkeit des Landes von dieser Wahl erwarteten, ist dennoch nicht in Sicht. Die Italiener haben nicht so sehr aus Überzeugung mehrheitlich links gewählt. Viele Wähler trieb vielmehr ihre Enttäuschung über die blamable Vorstellung der Rechten während ihrer Regierung vor zwei Jahren. Und die italienischen Wähler haben bei der Linken erstmals einen wirklichen Regierungswillen ausgemacht.

Doch die regierungswilligen Linken stehen vor jener Situation, in der sich auch die Linken anderer Länder schon oft gesehen haben: Sie werden gerufen, wenn die politisch-wirtschaftliche Situation derart verfahren ist, daß man heftigen Unmut des Volkes befürchten muß. Also dann, wenn es eigentlich nichts mehr zu verteilen gibt, man aber die sozial Benachteiligten und Zukurzgekommenen zumindest für einige Zeit ruhigstellen muß.

Mit einem Schuldenberg von umgerechnet mehr als zwei Billionen Mark, einer Arbeitslosenquote von 13 Prozent und dazu noch einer heraufdämmernden neuen Wirtschaftskrise ist das einzige Rezept, das jede Regierung anwenden muß, blanke Strenge: Statt mehr Gerechtigkeit und Umverteilung bleibt nur noch der Griff zu weiteren Einsparungen, zu weiteren Schnitten in das in Italien ohnehin schon großmaschige soziale Netz.

An eine Verbesserung der grauenhaft ineffizienten öffentlichen Dienstleistungen oder einen Wiedereintritt ins Konzert europäischer Wirtschaftsmächte der ersten Kategorie ist nicht im Traum zu denken.

Werner Raith in der taz vom 23. 4. 1996