Kameras, Kneipen, Kabbeleien

Heute beginnt die 5. Dokumentarfilmwoche mit einer „Hamburger Kneipendoku-Trilogie“. In „Wild Blue Yonder“ begibt sich eine junge Filmemacherin auf die Suche nach ihrem Vater, einem Mitbegründer des Direct Cinema der 60er

Von der Videowerkstatt über den Dok-Film-Klassiker bis zum Überraschungsfilm – in der kommenden Woche gibt es im Rahmen der 5. Dokumentarfilmwoche viel Ungewohntes, Rares und Bewegendes in den drei Kinos 3001, Metropolis und Lichtmess zu sehen.

Den Auftakt macht heute Abend unter anderem die „Hamburger Kneipendoku-Trilogie“ im 3001, die mit Tillmann Scholls „Wir lassen uns das Singen nicht verbieten“ beginnt. Einen komisch-absurden, traurig-schönen Dokumentarfilm hat Scholl aus zwischen 1975-85 in und um St. Pauli gedrehtem Filmmaterial montiert. Es treten unter anderem auf: tausende Polizisten, drei Koblenzer Damen, Klaus von Dohnanyi, Bernie Fick und seine Fernfahrer, Rosa Lola, die Chefs von St. Pauli, Lederkappenheinz, Freddy Quinn und Jürgen, der Kellner im „Schauermann“.

Einen viel kürzeren Zeitraum umfasst Klaus Wildenhains „Heiligabend auf St. Pauli“: Er beginnt am 24. Dezember 1967 um 6 Uhr abends und endet am 25. Dezember um 4 Uhr morgens: 10 Stunden in einer Eckkneipe. Dabei wird Wildenhahns Art zu filmen deutlich: Die behutsame Beobachtung von in die Randständigkeit gedrängten sozialen Prozessen und Menschen, auf deren Präsentation in dieser Gesellschaft sonst kein Wert gelegt wird. Wildenhahn ist bei der Vorführung dabei, ebenso wie der Regisseur des dritten Films. „Palette revisited“ von Theo Janßen aus dem Jahr 2005 erinnert an eine legendäre Szenekneipe: Die im November 1964 wegen Drogenhandels und Kleinkriminalität geschlossene „Palette“. In kleinen Interviews erzählen ehemalige Palletianer ihre Erinnerungen an den Schauplatz von Hubert Fichtes gleichnamigem Roman.

Unbedingt sehenswert ist morgen Abend „Wild Blue Yonder“, der erste Film der jungen US-amerikanischen Filmemacherin Celia Maysles. Die war sieben Jahre alt, als ihr Vater David 1987 unerwartet an einem Schlaganfall starb. Zwanzig Jahre später beschließt sie, einen Film zu machen, um mehr über den ihr beinahe unbekannten Vater zu erfahren. Anfänglich ist ihr dabei kaum bewusst, dass jener gemeinsam mit seinem Bruder Albert als Mitbegründer des Direct Cinema in den 60ern in den USA Filmgeschichte geschrieben hat. Die beiden gehörten der Generation rebellischer Filmemacher an, die dem parteilichen, systemkritischen Dokumentarfilm zum Durchbruch verholfen haben, haben Meilensteine wie den Konzertfilm „Gimme Shelter“ über das Altamountkonzert der „Rolling Stones“ 1969 geschaffen.

Es ist rührend zu sehen, wie sich Maysles ihrem Vater nähert: Filmemachen als Aneignung der eigenen Familiengeschichte. Sie fährt an den Ort, an dem die Brüder ihren bekanntesten Film, den Klassiker „Grey Garden“, gedreht haben, befragt ihre Mutter und ihren Onkel. Der aber ist gar nicht so glücklich über ihr Engagement, plant er doch selbst einen biografischen Film. Es kommt zum Streit, weil Albert Maysles darauf besteht, Inhaber der Filmrechte zu sein und seiner Nichte keine Filmausschnitte zur Verfügung stellen will. So kommt ein Thema auf, dass für viele linke Filmschaffende ein Tabu ist: Auch ihre Arbeit, so kapitalismuskritisch sie sein mag, ist den Gesetzen des Marktes unterworfen, bei aller solidarischen Kooperation gibt es immer wieder Konkurrenz. Gaston Kirsche

„Kneipendoku-Trilogie“: Do, 24. 4., 19 Uhr, 3001, Schanzenstraße 75 (im Hof) „Wild Blue Yonder“: Fr, 25. 4., 18 Uhr, Lichtmess, Gaußstr. 25 und Di, 29. 4., 19 Uhr, Metropolis, Dammtorstraße 30a; Infos und Programm unter www.dokfilmwoche.com