Nord-Ostseebahn unter Beschuss

Die Deutsche Bahn bläst zum Angriff gegen die Nord-Ostsee-Bahn: das private Unternehmen trage mehr Verantwortung für die Verspätungen auf der Strecke Hamburg-Sylt, als es behaupte. Die zuständigen Behörden sind verwundert

Auf Sylt hat die direkte Bahnverbindung nach Hamburg nicht immer für ungetrübte Freude gesorgt. Genau genommen war es das „Schönes Wochenende Ticket“ der Bahn, an dem sich die Tourismusverantwortlichen stießen. Weil damit jedes Wochenende rund 6.000 Tagestouristen anreisten, wollten Unternehmer und Kurdirektoren im April 1995 die Bahn zwingen, das Ticket wieder vom Markt zu nehmen: „Mit diesem Besucheransturm“, beklagte sich der Sylter Amtsvorsteher Heinz Maurus, „werden wir einfach nicht fertig.“ Die Bahn schloss sich dem nicht an. Im März des selben Jahres kam es auf Sylt zu einem kleineren Polizeieinsatz: „50 Demonstranten aus der Hamburger autonomen Szene“, schrieb die taz, seien fest genommen worden. Sie hätten zuvor in Flugblättern dazu aufgerufen, auf Sylt „Chaos“ zu verbreiten. Hintergrund waren Äußerungen von Insulanern, die eine „Überflutung mit Billigtouristen“ beklagt hatten.  ALDI

VON DANIEL KUMMETZ

Die Ursachen sind manchmal Baustellen, hin und wieder Polizeieinsätze, das ein oder andere Mal technische Probleme – Verspätungen bei einer Bahnfahrt ärgern die Reisenden. In 13 Prozent aller Fahrten war das im vergangenen Jahr auf der Strecke Hamburg-Westerland der Fall. dann kamen die Züge mehr als fünf Minuten zu spät.

Die Strecke wird von der Tochter des Veolia-Konzerns, der Nord-Ostsee-Bahn (NOB) betrieben. Auf einer Pressekonferenz Anfang April erklärte NOB-Chef Hagen Kalleja, dass sein Unternehmen nur für zwei Prozentpunkte der Verspätungen verantwortlich sei. Für den Rest macht er Baustellen und die Infrastruktur verantwortlich – zuständig dafür ist die Deutsche Bahn.

So oder so muss die Privatbahn jedoch zwischen 100.000 und 200.000 Euro Strafe an das Land Schleswig-Holstein zahlen, die genaue Höhe wird noch berechnet. Die NOB ist gegenüber dem Land Schleswig-Holstein vertraglich verpflichtet, eine Verspätungsquote von zehn Prozent nicht zu überschreiten.

Das Deutsche Bahn fühlte sich durch die Aussagen des NOB-Chefs offensichtlich angegriffen. Sie sieht die Gründe für die vielen Verspätungen der Privatbahn woanders: „Die Nord-Ostsee-Bahn stellt es immer so dar, als sei das Netz vor allem verantwortlich für die Verspätungen“, sagt eine Bahn-Sprecherin, „deshalb haben wir uns das noch mal ganz genau angeguckt.“

Das Ergebnis steht in einem Brief an die landeseigene Verkehrsservicegesellschaft (LVS): Die NOB benutze zu schwache Triebfahrzeuge – so seien über die Hälfte der Züge schwächer motorisiert gewesen als angemeldet. Außerdem kalkuliere die NOB mit zu knappen Einstiegszeiten an Bahnhöfen. 20 Prozent der Verspätungen sollen laut Deutsche Bahn-Papier daher gekommen sein.

Der Brief landete nicht nur bei der LVS, sonder auch beim Flensburger Tageblatt, das am Mittwoch aus dem Papier zitierte. Der Inhalt irritieren die NOB, aber auch die LVS, die Regionalverkehr im Auftrag der Landesregierung abwickelt. Bei der LVS ist man sich sicher, dass die Vorwürfe der Deutschen Bahn so nicht stimmen: „Wir werden den Inhalt des Schreibens prüfen, gehen aber davon aus, dass die meisten Hinweise so nicht stimmen“, sagt Dennis Fiedel von der LVS. „Das betrifft insbesondere den Punkt der Motorisierung der Fahrzeuge.“ Deren Anmeldungen seien von der NOB mit der LVS abgestimmt, einen Einsatz anderer Züge gebe es nicht. Die Nutzung von Triebwagen in der Nachtstunden ergebe Sinn, weil zu dieser Zeit nicht so viele Sitzplätze benötigt würden. Da die Triebwagen schneller beschleunigen können als lokbespannte Züge und oft halten müssen, würden sich die Effekte gegenseitig aufheben und hätten keine Auswirkungen auf die Einhaltung des Fahrplans. „Bei einigen Punkten müssen wir noch intensiv anschauen und mit der NOB reden“, sagt Fiedel.

Die Sprecherin der Privatbahn zeigt sich von den Vorwürfen der Deutschen Bahn überrascht: „Die Behauptungen in dem Papier sind falsch“, sagt Suzanne Thomas, „noch heute geht ein Antwortschreiben raus, in dem wir das widerlegen“. Falsch sei auch, dass die NOB der Deutschen Bahn für den Großteil der Verspätung die Schuld gebe.

Auch die zeitliche Platzierung des Schreibens sorgt für Irritation: Die NOB hat auf der Marschenstrecke Hamburg-Westerland im ersten Quartal 2008 die Zielmargen der LVS, 90 Prozent Pünktlichkeit, deutlich unterschritten.

Die Strecke Hamburg-Westerland gilt als sehr prestige-trächtig, nicht zuletzt wegen der vielen Touristen. Im Jahr 2003 hat das Land Schleswig-Holstein die Strecke neu nach einer Ausschreibung neu vergeben – die DB-Regio verlor gegen die NOB. Die Strecke ist zum Teil eingleisig und stark befahren, neben der NOB verkehren dort Güterzüge und vier Intercitys der Deutschen Bahn.

Zwischen DB Netz und der NOB gab es im Jahr 2007 Auseinandersetzung darum, wann auf der Strecke gebaut wird und wie dann die Gleise befahren werden. Die Bahn-Tochter hat das letzte Wort, muss aber die Anregungen der NOB berücksichtigen. Dass die Privatbahnen bei der Benutzung des Schienennetzes der DB nicht diskriminiert werden, überwacht die Bundesnetzagentur. Im August des vergangenen Jahres entschied sie, dass die Bahn die NOB über eine Baustelle auf der Strecke zu spät informiert hat und damit rechtswidrig gehandelt hat.

Schleswig-Holstein galt unter der rot-grünen Regierung als ein Musterland, was die Ausschreibungen von Regionalbahnlinien betraf. Das hat sich unter dem jetzigen Verkehrsminister Dietrich Austermann (CDU) geändert. Unter ihm ging der Auftrag für Netz-Ost um Lübeck an die Deutsche Bahn. Austermann gilt als Freund von Bahnchef-Mehdorn, doch das Ministerium dementiert: „Die beiden kennen sich aus der Zeit als Austermann Bundestagsabgeordneter und Mehdorn in Aufsichtsräten saß, mehr ist da nicht“, sagte sein Sprecher Harald Haase.