Im Monument Valley des Niedergangs

In der American Academy wollte der New Yorker Kritiker David Denby über die Zukunft des US-amerikanischen Kinos sprechen. Als Musterexemplar eines Kulturpessimisten klagte er aber vor allem über die Gegenwart

Anfang der Neunzigerjahre nahm sich der Filmkritiker David Denby eine Auszeit. Er besuchte das Seminar über die „Großen Bücher“ des westlichen Kanons an der New Yorker Columbia-Universität. Er las sich durch den damals längst zum Gegenstand von Kulturkämpfen gewordenen Bestand unverzichtbarer klassischer Literatur des Abendlands und war, wie das so geht, hinterher nicht mehr derselbe. Denby verfasste, wie man das als Intellektueller so macht, ein Buch über seine Erfahrung. Darin preist er, wie es sich gehört, die ewigen Werte der Literatur und den Wert der Klassikerlektüre für unser Leben und hat für neueren Feminismus, französische und andere Theorie und alles politisch Korrekte wenig übrig.

Heute ist, wie das dann so kommt, Denby eine der beiden Filmkritik-Edelfedern des sehr kultivierten amerikanischen Wochenmagazins The New Yorker. An der Berliner American Academy, von deren Terrasse aus man über einen sehr kultivierten Rasen auf den Wannsee blickt, war ein Vortrag Denbys zur Frage, ob das amerikanische Kino eine Zukunft hat, versprochen. Leider ging es dann gar nicht so sehr um die Zukunft, denn Denby findet schon die Gegenwart des amerikanischen Kinos so schrecklich, dass er lieber zurück als nach vorne blickt.

Angesichts der börsennotierten Filmkonzerne und ihrer Sequel-fixierten Profitmaximierung wünscht Denby sich das alte Studiosystem zurück. Er beklagt den Verlust an Menschenmaß, an sophistication, an Aufschub der Lust und subversiver Kraft, die die amerikanischen Filme der Siebzigerjahre besaßen und die der heutige Hollywood-Film seiner Ansicht nach nicht mehr besitzt. Er geißelt die Konzentration einer ganzen Industrie auf das Eröffnungswochenende, an dem sich das Schicksal der Blockbuster heute entscheidet. Er betrauert den Bedeutungsverlust der Kinoerfahrung in Zeiten, in denen es dem jüngeren Publikum zusehends gleichgültiger ist, ob es Filme auf der Leinwand, auf dem Rechner oder irgendeinem anderen Abspielgerät sieht.

Kurzum: David Denby erwies sich als Musterexemplar eines Kulturpessimisten, der trotzig die Augen verschließt vor allem, was am Neuen und Anderen aufregend und auch befreiend ist; der in jedem Körnchen Wahrheit seiner skeptischen Diagnose ein Monument Valley des Niedergangs erkennt; der sich auch nicht vom Hinweis auf seine Lehrmeisterin Pauline Kael aus dem Konzept bringen lässt, die gerade das Sensationelle und Infantile des Kinos gegen die von Denby heute mit verblüffender Selbstverständlichkeit verkörperte bildungsbürgerliche Kultiviertheit auszuspielen verstand.

So hatte auch der FAZ-Kritiker Michael Althen als Moderator des Abends mit seinem Verweis auf den bei YouTube zu bewundernden Erfindungsreichtum junger Bildbearbeitungsvirtuosen wenig Glück. Der Hinweis aus dem Publikum auf die früher unvorstellbare Online- und DVD-Verfügbarkeit auch abseitigster Filme an abgelegensten Orten fand ebenso wenig Denbys Interesse – obwohl er ganz freimütig zugab, sehr viele Filme inzwischen in exzellenter Qualität auf seinem großen Wohnzimmer-Plasmabildschirm zu sehen.

Systematisch übersieht Denby, darin ein typischer Vertreter arrivierter Institutionen, das dezentralisierende Potenzial des Digitalen. Noch da, wo er seine Hoffnung auf das Internet setzt, bleibt er auf Autoritäten fixiert. Die in den Printmedien in Abwicklung befindliche US-Filmkritik möge sich online doch bitte an zentralem Ort neu versammeln. Das Unübersichtliche der Blog- und Onlineszene, das deren Lebendigkeit und Reichtum wesentlich ausmacht, ist Denby dagegen ein Horror.

Die „großen Bücher“ und „großen Filme“ und „großen Zeitschriften“ sind seine Welt. Was immer über die Zukunft des Kinos und der Filmkritik zu sagen ist: Männer wie David Denby sind in ihr rettungslos von gestern. Und das ist ein Glück.

EKKEHARD KNÖRER