Die Verzahnerin

Domenika Ahlrichs, Chefredaktionsmitglied der „Berliner Zeitung“, soll Print und Online vernetzen – und spricht über Rendite und die Stasiaffäre

DOMENIKA AHLRICHS, 34, Mitglied der Chefredaktion der Berliner Zeitung (Mecom) und Chefredakteurin der Netzeitung (Mecom). Die Berliner Zeitung ringt mit Sparplänen (Mecom) und damit, dass die Stasivergangenheit von Redakteuren die einstige SED-Zeitung eingeholt hat.

INTERVIEW KLAUS RAAB

taz: Frau Ahlrichs, haben Sie Ihre Stasiakte angefordert?

Domenika Ahlrichs: Ich war bei der Wende 16 und bin in Westdeutschland aufgewachsen. Ich weiß nicht, ob es für unter 16-Jährige schon Akten gab. Aber ich habe darüber nachgedacht, die aktuellen Ereignisse als Anlass dafür zu nehmen, das herauszufinden.

Zwei Mitarbeiter der Berliner Zeitung waren Stasi-IMs. Rechnen Sie damit, dass weitere Redakteure enttarnt werden?

Alle wissen, dass verschiedene Medien derzeit Akten von Redakteuren der Berliner Zeitung bei der Birthler-Behörde anfordern. Insofern rechne ich damit, dass alle, die eine Stasivergangenheit haben, sich zu ihr bekannt haben und niemand darauf wartet, von anderen enttarnt zu werden.

Ein Forscherteam untersucht nun den Einfluss der Stasi auf die Berliner Zeitung. Warum gibt es in der Redaktion Widerstand gegen das Team?

Einzelne haben ein Problem damit, dass sie erstens ihre Daten offenlegen sollen und zweitens mit Herrn Weberling [dem Teamchef; d. Red.] …

dem ehemaligen Personalchef des Berliner Verlags, der an einer ähnlichen Studie 1997 mitgearbeitet hat.

Aber das ist nicht die Mehrheitsmeinung. Seitens des Redaktionsausschusses gibt es den Appell zusammenzuarbeiten. Für die Zeit nach 1990 gibt es keinen wissenschaftlichen Auftrag, da das Stasiunterlagengesetz die Überprüfung von Akten einzelner Mitarbeiter im Auftrag des Arbeitgebers nicht zulässt. Da ist man auf die Freiwilligkeit der Leute angewiesen.

Ist die vorhanden?

Ja. Die große Mehrheit der Redakteure hat angekündigt, die eigenen Akten anzufordern. Die Berliner Zeitung hat sich ihrer Vergangenheit schon immer aktiv gestellt. Alle Zeitungshäuser in Deutschland sollten ihre Geschichte so aufarbeiten.

Sind Sie froh, dass Thomas Leinkauf, der als Spitzel enttarnt wurde, nicht stellvertretender Chefredakteur wurde – was er im Herbst werden sollte?

Es macht für mich keinen Unterschied, ob ein leitender Redakteur oder ein stellvertretender Chefredakteur als Stasispitzel enttarnt wird. Ich bin jedenfalls nicht froh, dass es einen stellvertretenden Chefredakteur weniger gibt. Die Position, die er besetzen sollte, ist immer noch frei.

Redakteur Ewald B. Schulte hat kritisiert, kein Mitglied der Chefredaktion sei „willens oder in der Lage“, einen politischen Leitartikel zu schreiben. Ziehen Sie sich den Schuh an?

Nein. Man kann kritisieren, dass es keinen anderen gibt, der die Position eines stellvertretenden Chefredakteurs besetzt und als politischer Kommentator etabliert ist. Aber meine Aufgabe ist es nicht und war es nie, Leitartikel in der Berliner Zeitung zu schreiben. Ich bin als Chefredakteurin der Netzeitung …

die wie die Berliner Zeitung zum Mecom-Konzern gehört …

… zusätzlich in die Chefredaktion der Berliner Zeitung berufen worden mit dem klaren Auftrag, für die Verzahnung von Printausgabe und berliner-zeitung.de zu sorgen.

Teilen Sie die Kritik der Redaktion der Berliner Zeitung am Konzern, etwa an den Renditezielen?

Nach Jahren des recht einsamen Überlebenskampfs ist es für mich als Chefredakteurin durchaus ein Glück, dass die Netzeitung jetzt zu einem Medienverlag gehört. Es wäre allerdings eine Ironie des Schicksals, wenn nun Renditeziele in den Vordergrund und Qualität in den Hintergrund rücken würden.

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