Brahms hier, Brahms dort

Am 7. Mai jährt sich der Geburtstag von Johannes Brahms zum 175. Mal. Der Komponist hat seine Heimatstadt Hamburg geliebt – aber sie überging ihn mehr als einmal. Als Nachlassverwalterin empfiehlt sich mittlerweile das nahe gelegene Lübeck

Rasend verändert sich die Welt, und doch bleibt alles beim Alten. So denkt man, wenn man diese Geschichte aus dem Jahr 1826 hört: Ein junger Mann entflieht der Enge einer Dithmarschener Kleinstadt, um sich in Hamburg als Musiker einen Namen zu machen. Er tritt mit kleinen Ensembles in Tanzlokalen in St. Pauli auf. Später, verheiratet und sich um zwei Kinder sorgend, bemüht er sich um eine feste Anstellung. Er findet sie im „Städtischen Orchester“. Der Mann hieß Johann Jakob Brahms, sein Sohn Johannes – dessen Geburtstag sich am 7. Mai zum 175. Mal jährt.

Geboren wird Johannes Brahms 1833 im Hamburger Gängeviertel. Er liebte seine Geburtsstadt – aber Hamburg, liebte Hamburg auch ihn? Hier komponierte Brahms viele seiner frühen Werke, und viele davon wurden von den Hamburgern bei den Uraufführungen begeistert aufgenommen. Aber als Dirigenten der örtlichen Philharmonie wollte man ihn nicht haben: Gleich zwei Mal gab man weit weniger begabten Musikern den Vorzug, woraufhin Brahms wütend nach Wien abwanderte. Als Hamburg ihm endlich 1894, drei Jahre vor seinem Tod, die Leitung der Philharmonie anbot, lehnte er ab. Mit verhaltenem Groll schrieb er: „Es ist nicht vieles, was ich mir so lange lebhaft gewünscht hätte seiner Zeit – das heißt zur rechten Zeit!“

Seither hat Hamburg einiges getan, um Brahms nachträglich zu ehren. Unweit seines im Krieg zerstörten Geburtshauses eröffnete 1971 ein kleines Brahmsmuseum, das von der zwei Jahre zuvor gegründeten Brahmsgesellschaft betrieben wird. Bereits 1959 wurde ein Brahms-Archiv in der Staatsbibliothek eingerichtet. Gemeinsam wird man das diesjährige Jubiläum mit einer Ringvorlesung, einem Festakt in der Universität und, natürlich, Konzerten begehen.

Einen Lapsus in der Brahmspflege scheint sich die Stadt allerdings noch einmal 1990 geleistet zu haben: Das Hamburger Ehepaar Renate und Kurt Hofmann suchte damals nach einer Bleibe für unzählige Handschriften, Dokumente und Fotos von Brahms und seinem Umfeld. Die Stadt zeigte nicht das nötige Interesse und so wanderte diese weltweit größte Privatsammlung von Brahmsiana nach Lübeck – finanziert vom Land Schleswig-Holstein.

Wolfgang Sandberger, der das Brahms-Institut in Lübeck leitet, hält diese Geschichte für einen Mythos. Sonst hat er aber keinen Grund zu klagen. Das Institut ist in einer schmucken Villa untergekommen und an die Lübecker Musikhochschule angegliedert. Forschung und Präsentation, sagt er, würden bestens verbunden. An der Musikhochschule findet, beginnend am 30. April, das jährliche Brahms-Festival statt. Und am 10. Mai eröffnet in der Villa Eschenburg eine Ausstellung, in dessen Zentrum die Rekonstruktion von Brahms’ Wiener Musikzimmer steht.

Die Ausstellung trägt den Titel „Brahms – Ikone der bürgerlichen Lebenswelt?“ Denn Brahms, sagt Sandberger, habe die Musik des aufstrebenden Bürgertums komponiert – habe dabei aber selbst nie bürgerlich gelebt, unverheiratet und kinderlos wie er war.

Dieses einerseits/andererseits scheint die Einordnung Brahms’ schon immer bestimmt zu haben. Er galt als Advokat der „absoluten Musik“, die mit Abkoppelung aller weltlichen Bezüge als reine, tönende Form begriffen werden wollte – und schrieb doch zwischen die Notenzeilen: „So verstohlen geht der Mond auf.“ 1933 feierte ihn dann der Dirigent Wilhelm Furtwängler als Traditionalisten – während Arnold Schönberg nachwies, dass Brahms zur Auflösung der Tonalität beigetragen habe. So gesehen ist es nur in Ordnung, wenn auch heute die Brahmsinteressierten pendeln müssen: zwischen Hamburg und Lübeck. MAXIMILIAN PROBST