Boros trifft die Gabba Nation

Einst lief im Bunker krasser Gabber, nun beherbergt er die Sammlung Boros. Die alten Graffiti sind noch da, und in der Sammlung verweist vieles auf die Verbindung von Club und Kunst in den 90ern

VON ULRICH GUTMAIR

Graffiti halten manchmal für erstaunlich lange Zeit spontane Eruptionen im städtischen Raum fest. Noch fast zehn Jahre lang konnte man am Haus an der Ecke Reinhardtstraße/Albrechtstraße lesen, was einst die Parole des historischen Moments war: Die „Gabba Nation“ versuchte sich hier anlässlich der Hate Parade zu verewigen. Am 12. Juli 1997 versammelten sich vor dem Bunker diverse mobile Soundsysteme, um nach allen Regeln der Kunst Krach zu schlagen.

Dass man die Kreuzung vor dem Bunker als Startpunkt der Demo wählte, hatte seinen Sinn. Das massive Gebäude war 1941 als „Reichsbunker Friedrichstraße“ geplant worden, um bei Luftangriffen um die 2.000 Anwohner aufzunehmen. Nach der Befreiung Berlins internierte die Rote Armee dort Kriegsverbrecher, in den Fünfzigern lagerte ein VEB Südfrüchte. Bald nach der Wende übernahmen die Raver den Laden. Erst wurde House und Techno gespielt, Lokalgrößen drehten Platten. Später radikalisierte sich der Bunker-Sound. Der Spiral Tribe trat auf, Gabber war das Genre der Stunde, Fetischpartys fanden statt.

Silvester 95 wurde trotz Verbots gefeiert, der Club prompt geschlossen. Der Flyer, der zur Hate Parade aufrief, machte klar, dass es nicht nur darum gehen konnte, mit superschnellem Gabber und brachialen Breakbeats der Love Parade Kontra zu geben. Die Parade richtete sich auch gegen die Schließung des Bunkers und den Ausverkauf des Scheunenviertels.

Der Gentrifizierung von Mitte konnte so allerdings nicht Einhalt geboten werden. Die hatten Mitteaktivisten mit ihrer sexy Mischung aus Club und Kunst paradoxerweise aufs Erfolgreichste selbst in die Wege geleitet – auch wenn viele der Protagonisten dort Nischen besetzt hatten, um dem Abriss etwa auf der Friedrichstraße Einhalt zu gebieten. Ein Jahr vor der Hate Parade sah der Bunker seine erste Kunstausstellung, und so ist es fast logisch, dass jetzt die prestigeträchtige Sammlung Boros hier ihr Heim gefunden hat.

Christian Boros empfing seine Gäste zur gestrigen Pressekonferenz rauchend vor der Tür. Er kennt die Geschichte seines Bunkers aus erster Hand: Seine Frau Karen hat im Bunker getanzt, während der Schweiß der Raver von den niedrigen Decken tropfte und zu Pfützen zusammenlief. Auch die Frage nach der Gentrifizierung hat Boros umgetrieben, sagt er. Doch befreundete Künstler bestärkten ihn, den Bunker als Fremdkörper in Mitte zu erhalten. Er versteht den Bunker als „Imperativ, nachzudenken“: Die Spuren der Kämpfe um Berlin auf seiner Haut ließ er absichtlich nicht tilgen.

Obwohl im Inneren völlig neue Raumsituationen geschaffen wurden, indem Durchbrüche geschlagen und Decken herausgefräst wurden, finden sich noch viele alte Tags und Spuren von Graffiti. Sympathisch macht die Sammlung aber vor allem die Auswahl der Künstler und Werke. Nachdem Boros Anfang der Neunziger YBAs gesammelt hatte, ging er dazu über, vor allem Kunst zu kaufen, die in Berlin produziert worden ist oder anderweitig ortsspezifisch ist. So finden sich in seiner Sammlung etwa Lichtkästen mit den leeren Logos von Daniel Pflumm, die selbst Berliner Kunst- und Clubgeschichte sind. Die grandiose Videoarbeit „Fiorucci Made Me Hardcore“ von Mark Leckey widmet sich wiederum den ekstatischen Tänzen von Jugendbewegungen der letzten Dekaden. Statt E’s wurden dazu gestern Brezen gereicht.