Die Boheme der alten Bundesrepublik

Wie schreibt man einen prätentiösen Künstler- und Liebesroman? Das kann man in Lars Brandts „Gold und Silber“ erfahren

VON CHRISTOPH SCHRÖDER

Vor zwei Jahren veröffentlichte Lars Brandt mit „Andenken“ ein ganz und gar ungewöhnliches Buch. In kurzen Episoden näherte er sich einem großen Fremden – dem eigenen Vater, Willy Brandt. „Andenken“ bestach durch seine Prägnanz, die Atmosphäre und vor allem die erzählerische Ökonomie. Es hat seinen Sinn, daran noch einmal zu erinnern, denn nun hat Lars Brandt mit „Gold und Silber“ seinen Debütroman vorgelegt, und man fragt sich bereits nach wenigen Seiten, ob man es hier tatsächlich mit ein und demselben Autor zu tun hat.

Die Handlung des Romans ist schon deshalb schnell erzählt, weil es im Grunde genommen so gut wie gar keine gibt. Eine Gruppe von Künstlerfreunden, allesamt Mitte dreißig, trifft sich gegen Ende der Neunzigerjahre in einer mittelgroßen deutschen Stadt (die nie beim Namen genannt wird, aber eindeutig Bonn ist) regelmäßig in einem spanischen Lokal, das von einem Portugiesen geführt und darum originellerweise nur „der falsche Spanier“ genannt wird. Anschließend ziehen die Freunde durch die Gegend, wissen nicht so recht, wohin sie gehören, was ihre Bestimmung ist. Sie malen, machen Musik, drehen Filme; Bonn ist ein Ort, den es zu verlassen gilt; Berlin lockt, nicht nur die Politiker, auch die Künstler, die etwas auf sich halten. Und dann gibt es noch eine Liebesgeschichte, die keine ist, weil sie von einseitiger Verliebtheit des Ich-Erzählers Rudi bestimmt ist.

Alles an „Gold und Silber“ ist auf höchst prätentiöse Weise an eine romantisch verklärte Sicht auf die Welt gebunden; es ist die Idee der blauen Blume, des hohen Gefühls, die vorherrscht; eine Welt, die „noch nicht entzaubert war vom bösen Blick der Ironie“; das letzte Zucken einer Möglichkeit, frei über das eigene Leben zu bestimmen. Ein Jahr im Leben einer altbundesrepublikanischen Boheme, die zusammen mit der alten Bundesrepublik ihre Existenzgrundlage zu verlieren droht und ebendas auch bemerkt.

Das hat etwas Pubertäres und Problematisches und schlägt sich nieder in dem, was diesen Roman so gründlich misslingen lässt: seiner Sprache. Denn, es muss leider so gesagt werden, in „Gold und Silber“ wird noch die unbedeutendste Nichtigkeit (und davon gibt es viele) zum bedeutungsvollen Ereignis aufgeblasen.

Ja, sicher, man will weg von dieser geheimnisentleerten Gegenwart, von der Entzauberung. Aber muss das so klingen: „Einmal erwachte ich vom tastend auf meinem Leib balancierten Gewicht einer Katze, die über die Firste gewandert war. Ein Kater. Sein bernsteinfarbenes Irispaar schaute mich aus der runden Pelzschwärze an, die mit dem Himmelsdunkel verfloss, aus dem in unerforschlichen Mustern verschüttete Sterne wie unzählige gelbe Augen herabglitzerten“?

Oder so: „Das dativische End-E prangte pathetisch als Pechnase an der Ritterburg seines Akzents“? Das könnte auch, mit Verlaub, von einem Abiturienten stammen, der soeben sein erstes Botho-Strauß-Buch gelesen hat und es nun auch einmal mit dem Schreiben versuchen will. Und wenn dann „Kettenhemden aus Wasser vom Sturm gepeitscht über die kleinteiligen Fensterscheiben“ rasseln, wird der Geduldsfaden noch ein Stück kürzer. Offen und ehrlich muss man das Kitsch nennen. Die Rittermetaphorik durchzieht den gesamten Roman, doch auch das führt zu nichts.

Es gibt Momente, in denen kurz der Gedanke aufkommt, „Gold und Silber“ könnte mit dem Impetus des Sarkasmus geschrieben sein; beispielsweise in jenen Passagen, in denen Rudi dem Objekt seiner romantischen Liebe, Ginger, und deren Freund Jarl nach Rom (ausgerechnet an den Sehnsuchtsort der Deutschen) folgt, sehr zu deren Unwillen, und sich nach wie vor einbildet, es gäbe eine geheime Leidenschaft zwischen Ginger und ihm. Das hat seine komischen Momente, doch davon gibt es einfach zu wenige.

Dabei hätte der Ansatz von „Gold und Silber“ seinen Reiz gehabt: Ein Künstler- und Anti-Berlin-Roman, hurra, endlich! Nur ist der Gegenentwurf, den Lars Brandt zeichnet, auch nicht tröstlicher. Es wird gestorben und gelitten, unter Liebeskummer, Vereinsamung, Hunger oder Alkoholismus; Lebensentwürfe werden ausprobiert, Lebens- und Kunstperspektiven theoretisiert; nur bleibt all das matt und diffus, weil die Figuren keinerlei Tiefe haben, nicht mehr als Scherenschnitte sind, wie Rudi selbst die Gruppe immer wieder als einen durch die Stadt ziehenden Scherenschnitt beschreibt. Nur – dafür braucht es keinen 300 Seiten starken Roman.

Da sitzen sie also herum, in der Provinz, die vor kurzem noch Hauptstadt war. „ ‚Außer der Unbedingtheit‘, erklärte ich Ginger mutlos, als wir uns das nächste Mal sahen, ‚ist vor allem Demut unsere Stärke.‘ Was alles ich damit meinte, war mir selber nicht ganz klar.“ Uns, ehrlich gesagt, auch nicht.

Lars Brandt: „Gold und Silber“. Carl Hanser Verlag, München 2008, 304 Seiten, 19,90 Euro