Startschuss für grün-schwarze Zukunft

Hamburger GAL-Mitgliederversammlung votiert erwartungsgemäß für schwarz-grüne Regierungskoalition. Während drei Viertel der Anwesenden für das historische Bündnis stimmen, treten einzelne GAlier aus der Partei aus

VON MARCO CARINI

Punkt 17 Uhr war es vollbracht. Christa Goetsch, Krista Sager und Anja Hajduk fielen sich in die Arme und auch der aus Berlin angereiste grüne Parteichef Reinhard Bütikofer wollte die drei Damen möglichst schnell busseln. Zuvor hatte die Hamburger GAL-Mitgliederversammlung nach viereinhalbstündiger Debatte bei nur etwa 70 Gegenstimmen für eine schwarz-grüne Koalition gestimmt. Mit Applaus begrüßten die rund 400 stimmberechtigten Parteimitglieder ihr eigenes Votum und bestätigten auch, dass Anja Hajduk, Christa Goetsch und Till Steffen für die GAL in den Senat einziehen sollen.

Die kontroverse Debatte war erstaunlich diszipliniert und unaufgeregt abgelaufen; ein Vorstoß, die Koalitionsvereinbarung aufgrund ihrer Schwachpunkte nach zu verhandeln, wurde mit großer Mehrheit abgelehnt und auch der Antrag des Landesvorstandes, geheim abzustimmen, fand nicht die erforderliche Zustimmung.

Schon der Beifall für die Eröffnungsrede der GAL-Verhandlungsführerin, Anja Hajduk, hatte am Anfang des Parteitags klar gestellt, dass die Mehrheiten für die Koalition im Wilhelmsburger Bürgerhaus gesichert waren.

Kleine Frau ganz groß: Für ihre halbstündige Rede musste Hajduk zwar auf ein Holzpodest steigen, um hinter dem Rednerpult noch sichtbar zu sein, trumpfte dann aber souverän auf. Zwar sei vieles – etwa Bundesratsinitiativen zur Erhöhung des Hartz IV-Regelsatzes oder die Einführung flächendeckender Mindestlöhne – mit der CDU nicht durchsetzbar gewesen, der Koalitionsvertrag aber biete „viele Chancen“. Besonders die geplante Schulreform und die ambitionierte Klimapolitik seien es wert, „auf Basis dieses Vertrags auch mit der CDU Verantwortung zu übernehmen“.

In der Debatte kamen neben den Mitgliedern der Verhandlungskommission vor allem die Kritiker des Koalitionsvertrags zu Wort. Dabei gab es vier verschiedene Formen der Kritik: Einige Redner lehnten schwarz-grün grundsätzlich ab, weil die GAL diese Konstellation vor der Wahl faktisch ausgeschlossen hatte.

Vasco Schultz, Koalitionskritiker aus Rahlstedt: „Was wir jetzt tun ist zwar keine Wahllüge, aber eine Wähler-Täuschung“. Schultz bemängelte, dass die GAL „keinen Versuch unternommen“ hätte, „ein Signal auszusenden, die rechnerische rot-rot-grüne Mehrheit“ politisch umzusetzen.

Noch während der Versammlung kündigte Schultz, Bezirks-Abgeordneter in Wandsbek, seinen Parteiaustritt gemeinsam mit sechs weiteren GAL-Mitgliedern an.

„Wer schwarz-grün prinzipiell nicht will, sollte das sagen und aufhören, das Verhandlungsergebnis schlecht zu reden“, hielt die grüne Bundestagsabgeordnete Krista Sager dagegen.

Anderen GAL-Mitgliedern gingen die Kompromisse nicht weit genug, während eine dritte Gruppe prophezeite, die Vereinbarungen seien nur unverbindliche Absichtserklärungen und würden aus Geldmangel oder wegen einer CDU-Blockade faktisch nicht umgesetzt werden.

Der ehemalige GAL-Stadtentwicklungssenator Wilfried Maier konterte, „ein Koalitionsvertrag“ sei „immer eine Absichtsbekundung, bei dem aus dem innerhalb von vier Jahren aus dem ‚Soll‘ ein ‚Ist‘ werden muss“. Maiers Apell: „Wenn wir das nicht einmal versuchen, dann sollten wir gemeinsam singen aber nicht Politik machen“.

Der Vorwurf, die Verhandlungskommission sei nur auf Macht und Karrieren bedacht gewesen, sei absurd. „Natürlich wollen wir politische Macht und Posten, um unsere Ziele umzusetzen.“ Die innenpolitische Sprecherin der SPD, Antje Möller, ergänzte: „Ein Senatorenamt ist doch kein Job, den man dafür erhält, dass man das Maul hält“.

Während die zukünftige Bau- und Umweltsenatorin Anja Hajduk beim umstrittensten Koalo-Thema, dem Kraftwerk Moorburg erneut sehr zurückhaltend agierte, fanden der designierte GAL-Fraktionschef Jens Kerstan und der zukünftige Umwelt-Staatsrat Christian Maaß deutliche Worte.

Kerstan stellte klar, dass es in der Koalitionsvereinbarung „keine Willensbekundung gegen Moorburg gebe“, weil im Genehmigungsverfahren „nur fachlich, aber nie politisch argumentiert werden“ dürfe, wenn die Behördenentscheidung juristisch Bestand haben solle. Kerstan zeigte sich „zu 100 Prozent sicher, dass das Resultat des Moorburg-Verfahrens nicht im Gegensatz zu unseren Klimazielen stehen wird.“

Maaß griff in einer sehr emotionalen Rede die Bekundungen von Vattenfall an, schon im Wahlkampf politische Bewertungen von ihm und Hajduk gegen Moorburg gesammelt zu haben, um diese vor Gericht zu verwenden. „Wo kommen wir hin, wenn ein ausländisches Staatsunternehmens versucht, freigewählte Abgeordnete mit solchen Drohungen einzuschüchtern“, polterte der designierte Staatsrat. Inhaltlich betonte Maaß, Hamburg erhebe „als erste Stadt weltweit, den Passivhausstandard zur gesetzlichen Norm.“

Auch in einer Koalition werde die GAL, „die Auseinandersetzung mit der CDU suchen“, betonte Christa Goetsch, für die die Parteitagsregie den Schlussbeitrag reserviert hielt. Unter dem tosenden Beifall der 400 Mitglieder betonte Goetsch, die Grünen würden auch als Regierungspartner der CDU „ihr Gewissen nicht an der Garderobe abgeben“.

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