berliner szenen Lämmer und Füchse

Wildnis Hasenheide

„Was machen die denn da?“, fragt mich mein vierjähriger Neffe. Wir laufen in der Abenddämmerung durch die Hasenheide. Vor dem Gehege für Ziege und Schafe stehen ungefähr vierzig Männer, Frauen und Kinder dicht gedrängt und starren gebannt durch den Zaun. Auf der Wiese hinter dem Zaun liegt ein Schaf. Daneben steht ein Pfleger.

Als wir uns zur Menschentraube stellen, rutscht ein kleines schwarzes Lämmchen aus dem Schaf heraus. Die Menge am Zaun jubelt und klatscht. Der Pfleger rubbelt das Neugeborene mit Heu ab. Mein Neffe klettert auf den Zaun. „Sie haben Glück“, sagt die Frau neben mir. „Wir haben eine ganze Stunde warten müssen, bis das passiert.“ – „Was passiert denn?“, fragt mein Neffe die Frau von oben herab. Die Frau lächelt mich milde an. Aus der Ferne hört man Pfauen schreien.

Wir laufen weiter. Der Spielplatz ist verlassen bis auf fünf kiffende junge Männer bei der Bank. Mein Neffe möchte schaukeln, aber die Jugendlichen sehen mir zu bedrohlich aus. „Warum bedrohlich?“, fragt mein Neffe. Er zieht mich in Richtung Spielplatz, ich ziehe ihn in Richtung Parkausgang. Ich gewinne, und er lässt meine Hand los.

Beim Verlassen des Parks, wieder auf der Straße, drehe ich mich nach meinem Neffen um und blicke in die gelben Augen eines Fuchses. Er steht da, zwei Meter von uns entfernt, auf dem Bürgersteig gegenüber von Conrad Elektronik und schaut uns an. „Schau mal, ein Fuchs“, sage ich. Mein Neffe greift mit großen Augen nach meiner Hand. Dann trottet der Fuchs durch den Eingang in den Park hinein. „Der wollte uns aber nicht fressen“, stellt mein Neffe fest. Ich nicke bestätigend, er aber hat noch eine drängende Frage: „Gibt es in der Hasenheide auch Wölfe?“

MAREIKE BARMEYER