Pädagogen auf der Zinne

Erstmals sind Niedersachsens Lehrerverbände vereint wütend auf CDU-Kultusministerin Heister-Neumann. Sie ärgert, dass Überstunden erst kurz vor dem Ruhestand abgebaut werden sollen

VON KAI SCHÖNEBERG

Von einem „historischen Novum“ sprach Eberhard Brandt. Zum ersten Mal präsentierte sich der Chef der links gewirkten Lehrergewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gemeinsam mit dem Vorsitzenden des eher konservativen Philologenverbands, Guillermo Spreckels. Angeschlossen hatten sich ihrer gemeinsamen Pressekonferenz am Montag sogar noch weitere Lehrervereinigungen. Alle eint die Wut auf Niedersachsens Kultusministerin, Elisabeth Heister-Neumann (CDU).

Die Herrin der Schulen, die das Amt erst vor kurzem antrat, hat Startschwierigkeiten: Der Koalitionspartner FDP distanzierte sich bereits im Krach um den Abbau von Arbeitszeitkonten von der Ministerin. Und am heutigen Dienstag dürften Kabinett, CDU- und FDP-Fraktion über das Abräumen einer weiteren Kultus-Baustelle brüten – der Zulassung von Gesamtschulen (siehe Kasten).

In Baden-Württemberg hätten GEW und der dortige CDU-Kultusminister, Helmut Rau, vor kurzem mit Sekt angestoßen, erzählte Brandt: „Dort beginnt die Rückzahlung der Arbeitszeitkonten demnächst.“ In Niedersachsen würden Pädagogen ihre Ministerin derzeit höchstens zu einem Gläschen Tabasco einladen: Die Fronten sind erhitzt. Viele der 80.000 Lehrer zwischen Ems und Elbe sind auf der Zinne, weil Heister-Neumann bis zu zehn Jahre lang angesammelte Überstunden erst kurz vor dem Ruhestand ausgleichen will – und nicht schon von diesem Jahr an. Diese neue Arbeitszeitverordnung, die die Unterrichtsversorgung sicherstellen soll, hatte das Kabinett vor zwei Wochen beschlossen. Bislang galt die 1998 eingeführte Arbeitszeitkontenregelung, nach der nach den Sommerferien abgebummelt werden durfte.

Jüngere Kollegen müssten dann bis zu 35 Jahre auf den Ausgleich für Mehrarbeit warten, sagte Brandt. Es gehe um Überstunden im Wert von rund 835 Millionen Euro – das entspreche 1.700 Lehrerstellen pro Jahr. Von „maximal 500 Stellen“, die fehlen würden, wenn die Lehrer schon ab dem kommenden Schuljahr Überstunden abbauen dürften, geht dagegen das Kultusministerium aus.

„Wir weisen schon seit langem darauf hin, dass hier eine Zeitbombe tickt“, erklärte Spreckels. Die Lehrer hätten ihre Überstunden nur aufgrund der bislang geltenden Regelung geleistet, das Vertrauen zwischen Landesregierung und Lehrern sei schwer gestört. Heister-Neumann solle zugeben, „dass sie sich hier vergaloppiert hat“, so Spreckels weiter. Andernfalls drohte er Klagen an.

„Dass die Kultusministerin als Alternative zu der langfristigen Verschiebung mit einer Arbeitszeiterhöhung droht, ist wohl der Gipfel der Unverschämtheit“, wetterte der Verband Bildung und Erziehung. Die Verhältnisstörung zu Heister-Neumann werde wohl „schwer zu kitten sein“, sagte auch Manfred Busch vom Realschullehrerverband.

Gar „dummdreist“ nannte Brandt das Verhalten der Ministerin: Ein Personalvorstand bei VW werde in einem ähnlichen Fall sicher „gefeuert“, sagte der GEW-Landesvorsitzende. Und kündigte gemeinsam mit den anderen Verbands-Granden an, die Lehrerdemonstration am kommenden Dienstag werde auf jeden Fall stattfinden. Bis zu 6.000 Pädagogen werden dazu in Hannover erwartet. „Die Wut“, so Brandt, „ist groß.“ Fast gleichzeitig soll eine Anhörung im Landtag die umstrittene Neuregelung bei den Arbeitszeitkonten der Lehrer beraten. Heister-Neumanns Sprecher Stefan Muhle deutete gestern Kompromissbereitschaft an: „Eine Anhörung ist ein Prozess, kein Selbstzweck.“

Ein Knackpunkt ist für Spreckels ist die geplante Ausnahmeregelung: „Auf Antrag“ – und nur dann – könnten Lehrer Überstunden auch schon vor dem beginnenden Ruhestand abfeiern, steht bislang in der Verordnung. Für Brandt geht es dagegen vor allem um freiwillige Lösungen. Ein Kompromiss wäre es für ihn, den Abbau der Überstunden auf 2011 zu verschieben: Dann werden wegen des doppelten Abiturjahrgangs auf einen Schlag 1.500 Stellen überzählig. Allerdings müsse die Regierung dann noch „etwas beigeben“ – im Gespräch ist eine „Verzinsung“ von Überstunden. „Es muss“, sagt der GEW-Mann, „noch in dieser Legislaturperiode beginnen.“