„Das Bündnis ist tot“

Die Differenzen zwischen den Gewerkschaften und der SPD bleiben groß, sagt der Gewerkschaftsforscher Esser

JOSEF ESSER, 65, ist Politikwissenschaftler und Gewerkschaftsexperte an der Universität Frankfurt am Main.

taz: Herr Esser, nach den Hartz-Reformen hatten die Gewerkschaften mit der SPD gebrochen. Nun hat mit Kurt Beck erstmals seit fünf Jahren wieder ein SPD-Chef auf der zentralen DGB-Veranstaltung am 1. Mai gesprochen. Ist das ein Zeichen der Annäherung?

Josef Esser: Formal hat er ja als Ministerpräsident und nicht als SPD-Vorsitzender gesprochen. Und auf diesen feinen Unterschied legen beide Seiten auch Wert.

Der Eindruck bleibt: Kurt Beck sucht den Schulterschluss.

Dabei müssten die Gewerkschaften mitmachen. Das tun sie aber nicht. Seit der Agenda 2010 ist das klassische Bündnis zwischen SPD und Gewerkschaften tot. Das gilt für Ver.di noch stärker als etwa für die nach wie vor sozialdemokratisch geprägte IG Chemie. Aber auch die IG Metall will von einem Schulterschluss nichts wissen.

Ein längeres Arbeitslosengeld I und der Einsatz der SPD für Mindestlöhne konnten das Bündnis nicht wiederbeleben?

In der Frage der Mindestlöhne ist die SPD tatsächlich auf die Gewerkschaften zugegangen. Aber die Verlängerung des Arbeitslosengeldes für Ältere ging ja nicht nur von der SPD aus, sondern auch von Teilen der CDU. Darüber hinaus haben die Sozialdemokraten sich nicht im Sinne der Gewerkschaften bewegt.

Was sind die großen Trennlinien zwischen SPD und Gewerkschaften?

Zunächst sind die Gewerkschaften ja kein einheitlicher Block. Aber allgemein gesagt lehnen sie die Rente mit 67 weiter ab. Auch bei der Regulierung der Leiharbeit sind die Positionen von SPD und Gewerkschaften unvereinbar. Und ein großes Defizit aus Gewerkschaftssicht ist die Frage der Steuergerechtigkeit. Die Forderung nach einer Vermögensteuer bleibt ihr Dauerbrenner.

Hier sind die Gewerkschaften auf der Seite der Linken.

Die Gewerkschaften haben sich auch auf ein Fünfparteiensystem eingerichtet und vermeiden, sich an eine Partei zu verkaufen. Sie beziehen sich taktisch-opportunistisch auf diejenige Partei, die für sie in einzelnen Sachfragen interessant ist. Ob das die SPD, die Linkspartei, die Grünen oder eben auch mal die Union ist.

INTERVIEW: WOLF SCHMIDT