Polizei attackiert Richter

Nach den Ausschreitungen in Hamburg kritisieren Polizei und Innensenator einen Gerichtsentscheid zur Demo-Route. Das Bündnis gegen Rechts ist trotz Krawallen mit dem Verlauf zufrieden

VON PETER MÜLLER
UND ANDREAS SPEIT

Trotz der Krawalle mit ausgebrannten Autos am Rande der Demonstration gegen den Neonazi-Aufmarsch in Hamburg Barmbek ist das „Bündnis gegen Rechts“ mit dem Verlauf zufrieden. Mit 10.000 Teilnehmern sei der Protest „zur größten antifaschistischen Veranstaltung seit über einem Jahrzehnt in Hamburg“ geworden. „Mit so vielen Leuten haben wir nicht gerechnet“, sagt der Sprecher des Bündnisses, Wolfram Siede.

In nahezu jedem Geschäft auf der Fuhlsbüttler Straße im Herzen von Barmbek-Nord hätten die Plakate der Initiative „Barmbek sagt Nein zu Neonazis“ ausgehangen – unterzeichnet von 43 soziokulturelle Einrichtungen und Geschäften. „Besonders gefreut hat mich, dass sich so viele Menschen aus Barmbek den Protesten angeschlossen haben“, sagt Rainer Hanno, Pastor an der Auferstehungskirche. Dort, und in weiteren acht Kirchen läuteten punkt 14 Uhr die Glocken als Zeichen des gemeinsamen Protestes. Vergleiche mit den Krawallen in Kreuzberg seien daneben, sagt Jürgen Boenig vom Museum der Arbeit. In Kreuzberg sei randaliert worden, sagt Boenig. „Im Viertel herrschte vielmehr Volksfeststimmung“

Unterdessen hat Hamburgs Polizeipräsident Wernert Jantosch Freitag die Richterschelte von Innensenator Udo Nagel (parteilos) untermauert. Beide geben dem Oberverwaltungsgericht eine Mitschuld an den Ausschreitungen, da das Gericht am Vorabend des 1. Mai die Route über eine Straße freigegebenen hatte, auf der später auch die Nazis marschieren sollten. „Das war für uns nicht hilfreich“, sagt Jantosch. „Auf der gleichen Strecke beide Gruppen gehen zu lassen – das konnte nicht gut gehen.“ Die Polizei sei überrascht gewesen, dass Auflagen wie die Transparentlängen aufgehoben worden seien, die sonst Bestand hatten, sagt Jantosch.

Der Oberverwaltungsgerichtspräsident Rolf Gestefeld weist die Kritik in ungewöhnlich harscher Form zurück. „Die einseitige Schuldzuweisung des Innensenators lässt außer Acht, dass die bedauerlichen und nicht zu tolerierenden Ausschreitungen in großer Entfernung von der Demonstrationsroute stattgefunden und bereits vor Beginn der Demonstration begonnen haben“. Auch die von der Polizei zugelassene Route hätte daran nichts geändert, sagt Gerichtspräsident Gestefeld.

Überrascht war die Polizei über die rechte Gewalt. Die sich sonst bei Aufmärschen legalistisch gebenden Rechten traten am Samstag äußerst militant auf. Anders als sonst, sagt Jantosch, beugten sie sich nicht so einfach den Anweisungen der Polizei. Der Grund: Unter den 1.000 Neonazis waren rund 400 autonome Nationalisten. „Der Verfassungsschutz hatte diese autonomen Nationalisten auf 200 Personen geschätzt – mehr gebe es nicht“, beklagt Jantosch. „Es waren aber plötzlich 400 Personen“.

Am Abend kam es noch zu weiteren Übergriffen. In Bad Kleinen schlugen vermummte Neonazis auf eine Gruppe ein, die von einer Antifademo kam. Sie stürmten den Zug und versperrten die Türen. Im Bremer Bahnhof pöbelten gegen 22 Uhr etwa 150 Neonazis und gerieten mit Punks und Linken aneinander. Als die Polizei eintraf flogen Steine und Flaschen

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