die taz vor elf jahren über die tory-politik der neugewählten labour party
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Na schön, die Labour Party wird Großbritannien für die nächsten fünf Jahre regieren. Ein Grund zur Freude? No. Denn Tony Blair symbolisiert die historische Niederlage der Linken. Er ist der wandelnde Beweis, dafür, daß Phantasie und Gespür für Alternativen bei den Linken abgedankt haben. Viele Zeitungen, auch die taz, haben in den vergangenen Jahren von der Sozialdemokratisierung der Labour Party geschrieben. Ein Irrtum: Blair ist viel weiter gegangen.

John Majors Maxime von „One Nation“, also einer vereinten Nation, ist leeres Gerede. Gerade seine Politik hat dafür gesorgt, daß sich der Abstand zwischen Arm und Reich, zwischen Nord und Süd vergrößert hat. Als die Tories 1979 an die Macht kamen, besaßen 5 Prozent der Bevölkerung 45 Prozent der Reichtümer. Heute sind es 51 Prozent. Im britischen Norden liegt das Durchschnittseinkommen bei wöchentlich 255 Pfund. Im Süden sind es mehr als 450 Pfund.

Blair wird diese Politik nach eigener Aussage fortführen. Gordon Brown, der neue Schatzkanzler, hat sich davor gehütet, anzukündigen, daß sich die Kluft zwischen Arm und Reich nun verringern wird. Zum ersten Mal ist Labour von dem Prinzip abgerückt, durch eine progressive Steuerpolitik wenigstens den gröbsten Auswüchsen bei der Verteilung des Kuchens entgegenzusteuern. Schlimmer noch: Er will die Steuer- und Ausgabenpolitik der Tories komplett übernehmen. Wozu also Labour?

Manche Kommentatoren haben Blair geraten, umstrittene Entscheidungen so früh wie möglich durchzudrücken, das würden die zerstrittenen Tories gar nicht merken. Thatcher habe das 1979, als die Labour Party mehr oder weniger implodiert war, genauso gehandhabt. Aber solche Entscheidungen stehen bei Blair ja gar nicht an. Gefahr droht ihm von ganz anderer Seite: Wenn die neue Privatisierungsrunde ansteht, wird ihm sein Stellvertreter John Prescott zum ersten Mal vors Schienbein treten. Von da ab kann es eigentlich nur bergab gehen. Tony Blair handelt, als ob er sich das Land von den Tories nur geliehen hat und es in ihrem Sinne pflegen will, bis er es ihnen in fünf Jahren wieder zurückgeben muß. Tory-Politik aber können die Tories besser betreiben.

Ralf Sotscheck, 5. 5. 1997