Lübeck lobt die Bürger

In Lübeck startet am 31. Mai das Stadtprojekt „Mensch Bürger“. In den Kulturinstitutionen der Stadt soll dann an die geschichtliche Leistung des Lübecker Bürgertums erinnert – und die darauf fußende Zivilgesellschaft von heute gefeiert werden

Gut sichtbar prangt die Jahreszahl über dem Portal: 1758. Gebaut hat das Haus der Lübecker Johann Michael Croll – dessen Namen man heute nur deswegen in die Zeitung schreiben kann, weil sein Haus später in den Besitz der Familie Mann übergehen und mit dem Debütroman von Thomas Mann in die Weltliteratur eingehen sollte. „Buddenbrookhaus“ heißt das Anwesen in der Mengestraße 4 mittlerweile und sein 250-jähriges Jubiläum nimmt die Stadt Lübeck zum Anlass, der Kultur des Bürgerlichen nachzuspüren.

Im Buddenbrookhaus beginnt am 31. Mai die Ausstellung „Geschichte eines Bürgerhauses“ – als Auftakt einer „Woche der Museen“. Dann wird täglich mindestens eine Ausstellung zum Thema eröffnet. Vorträge und Lesungen, aber auch Bürgersalons, Theaterpremieren und Konzerte sollen das Phänomen Bürgerlichkeit erhellen. Ziel ist es, sagt Hans Wißkirchen, Direktor der Lübecker Museen, „keine Events ohne Substanz zu veranstalten, sondern den Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt zeigen, dass die kulturellen Schätze Lübecks es wert sind, heute und in Zukunft bewahrt und gezeigt zu werden“.

Und warum gerade Lübeck als Ort für ein Stadtprojekt über die Bürgerkultur? „Weil in Lübeck die gesamte Kultur auf bürgerlichen Engagement beruht.“ Das datiert auf das Jahr 1789 zurück. Der Lübecker Johann Julius Walbaum hatte damals die erste Lübecker Bürgerinitiative mitbegründet, die „Gesellschaft zur Beförderung Gemeinnütziger Tätigkeit“. Nach seinem Tod überließ er ihr eine umfangreiche Sammlung von technischen Geräten und Materialien der Naturkunde mit dem Auftrag, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – womit er den Grundstock für das erste Museum der Stadt legte. Erst 1937, als Lübeck mit dem Großhamburggesetz seine Eigenstaatlichkeit verlor, kamen diese und andere aus privaten Engagement gegründeten Einrichtungen in staatliche Obhut. „Aber auch heute noch“, sagt Wißkirchen, „würde ohne die Unterstützung der Bürger in dieser Stadt gar nichts laufen.“ Und anders als in Hamburg sei das bürgerliche Engagement auf einer kommunalen Ebene wie in Lübeck auch sehr viel deutlicher nachzuzeichnen.

Schön und gut, aber was ist das überhaupt, ein Bürger? Man könnte erst einmal das Bild aufgreifen, das im Manns Roman vom Kaufmann Thomas Buddenbrook gezeichnet wird. Da heißt es: „Er war nicht nur er selbst; man ehrte in ihm noch die unvergessenen Persönlichkeiten seines Vaters, Großvaters und Urgroßvaters, und abgesehen von den eigenen geschäftlichen und öffentlichen Erfolgen war er Träger eines hundertjährigen Bürgerruhms.“

Diese Form des Bürgerlichen, die weit zurückreicht in die Geschichte und daraus ihren Ruhm bezieht, gibt es heute allerdings nicht mehr. Spätestens seit dem Dritten Reich ist die in der Tradition verankerte Klasse des Bürgertums, wie sie noch Thomas Mann in seiner Beschreibung vorschwebte, verschwunden. Was kann sich dann heute hinter dem Begriff des Bürgerlichen verbergen?

Für Hans Wißkirchen geht es jenseits von Klassenzuschreibung ganz einfach um eine Tätigkeit. „Ein Bürger ist für uns jemand, der mitgestaltet, der aktiv an der Verbesserung der sozialen und kulturellen Lage mitarbeitet.“ Man sieht, hier ist das Bürgerliche fast identisch mit der quicklebendigen Idee des ehrenamtlichen Engagements, der Zivilgesellschaft. Und im Grunde genommen ist das Mitgestalten des Gemeinwesens, das Wißkirchen unter den Begriff des Bürgerlichen zu fassen versucht, doch seinerseits nur die in einer Demokratie schon immer vorausgesetzte Idee der Partizipation.

Eine Gefahr sieht allerdings auch Wißkirchen: Der Staat könnte das bürgerliche Engagement dazu nutzen, sich aus bestimmten Bereichen zurückzuziehen, mit dem Argument, es klappe, wie man sehe, doch auch so. Insofern dürfe das bürgerliche Engagement „nur etwas Zusätzliches sein; nur ergänzend zur Förderung, die der Staat aufbringen muss.“ MAXIMILIAN PROBST