uli hannemann, liebling der massen
: Zeit der Möpse

„Wow“, denke ich, als mir auf der Oberbaumbrücke eine Frau entgegen kommt, „eine Frau mit vier Möpsen!“ So etwas ist typisch für den Frühling. Auf einmal sieht man wieder, was den langen Winter über im Verborgenen blieb. Während draußen die Graupelsuppe kochte, räkelten sich daheim die Möpse faul in ihren Körbchen. Jetzt erst tollen sie wieder über den öffentlichen Laufsteg der Uneitelkeiten. Der Frühling in Berlin ist ein einziger Jahrmarkt der bescheidenen Attraktionen. „Hereinspaziert in den Zirkus Frühling“, scheint er zu rufen, „treten Sie näher, Herrschaften, hier geht es rund, hier gibt es was zu sehen! Jeder kommt auf seine Kosten, der Eintritt ist frei! Kommen Sie, sehen Sie, staunen Sie – Sensationen, Sensationen, Sensationen: Eine Frau mit vier Möpsen! Ein Mann mit Bart! Ein Kind mit zwei Armen! Ein Hund mit vier Beinen! Ein Brötchen mit Marmelade! Hereinspaziert!“

In der Tat komme ich aus dem Staunen kaum heraus. Die Frau wirkt zufrieden, obwohl sie sich kaum bewegen kann, denn jeder der kurzatmigen Knautschköppe zieht und zerrt an seiner Leine in eine jeweils andere Richtung. Ohne Sinn und Verstand behindern die auffahrunfallgesichtigen Omnivoren ihr eigenes Vorankommen und das der Frau. Der Mops hat es wirklich geschafft: Über Degenerationen hin hat er sich dermaßen gekonnt in eine Sackgasse der Evolution manövriert, dass er allein dafür kollektiv den Darwin Award für Vierbeiner verdient hätte. Ich verstehe beim besten Willen nicht, wie ein derart unkooperatives Haustier in den letzten Jahren so in Mode kommen konnte. Ist es wirklich nur wegen seiner Hässlichkeit, die ihren Besitzern den unprätentiösen Adel der Selbstironie verleiht und damit die Erfolgsgeschichte von Punk und Grunge auf einer Ebene der Wahl der Hunderasse weiterschreibt? Ähneln doch bekanntlich Hunde mit der Zeit immer mehr ihren Herrchen.

Oder war es umgekehrt? Egal, diese Hunde taugen zu rein gar nichts. Sie sind nicht nur hässlich und undiszipliniert, sondern auch viel zu niedrig. Ständig fällt man drüber.

Und noch mehr ist im Zirkus Frühling kunterbunt durcheinandergeraten. Randalierende Vögel haben in einem Blumenkübel, neben den ich mich, vom Mopsabenteuer ermattet, niederlasse, zwei Stiefmütterchen ausgegraben. In ihren würfelförmigen Pflanzblöcken liegen sie da wie auf der Mole abgelegte Mafia-Opfer mit Betonklötzen an den Füßen. Ich würde zu gerne in Erfahrung bringen, welcher Vogel das war, und diesen dann zur Rede stellen, doch es ist keiner weit und breit zu sehen. Die Vögel haben offensichtlich keine Lust, einander zu denunzieren. Lieber bleiben sie gleich ganz weg. Das imponiert mir. Ich möchte zwar wissen, wer die Stiefmütterchen ausgebuddelt hat, aber nicht um jeden Preis. Denunziation ist mir zutiefst zuwider.

Wenn ich einen Blick zurück auf die Brücke werfe, haben sich die Möpse dort mittlerweile komplett ineinander verheddert. Die Frau schreit. Ein Fahrrad fährt mitten in den Mopssalat. „Wow“, denke ich, „ein Radfahrer mit Helm! Ist jetzt Krieg?“ Doch es ist nicht Krieg, sondern Frühling. ULI HANNEMANN