Frauengeschichten

Besessen vom Privaten als Abbild der Gesellschaft: „Die Ehe der Maria Braun“ und „Gertrud“: Beide zum Theatertreffen eingeladenen Stücke verhandeln deutsche Geschichte über das Leben einer Alltagsheldin. Mit sehr unterschiedlichem Ergebnis

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Einar Schleef und Rainer Werner Fassbinder: Beide waren als Autoren und Regisseure besessen vom Privaten und überzeugt, je genauer man in die Intimität eines Lebens, bis in die widersprüchlichen Verästelungen der Bedürfnisse einsteigt, desto mehr kann man auch über das Funktionieren der Gesellschaft und ihren Zugriff auf den Einzelnen erzählen. Deshalb scheint es naheliegend, den Vergleich von zwei zum Theatertreffen in Berlin eingeladenen Inszenierungen zu wagen, die auf Stoffe von Fassbinder und Schleef zurückgehen. Zumal sowohl „Die Ehe der Maria Braun“ nach Fassbinders Film als auch „Gertrud“ nach Schleefs dickleibigem Monolog seiner Mutter jeweils ein Frauenleben in den Mittelpunkt rücken, das von den Zeitläufen der deutschen Geschichte durchgerüttelt und bis in seine Liebeswünsche hinein irritiert wird.

Thomas Ostermeier, Intendant der Schaubühne, hat die „Maria Braun“ an den Münchner Kammerspielen inszeniert und feiert mit der Einladung zum Theatertreffen gleich ein Heimspiel. Ähnlich geht es Armin Petras, der das Gorki-Theater leitet, seine „Gertrud“ aber im Schauspiel Frankfurt inszenierte.

Ostermeiers „Maria Braun“ ist Komödie, Melodram, Dokument der Nachkriegszeit und eine Hommage an Fassbinders Filmfamilie. Die wunderbare Brigitte Hobmeier, die mit einer Haut wie Porzellan und in goldfarbenen Kleidern eine altmodische Schönheit ausstrahlt, spielt die Maria, für die sich in der Stunde null für einen kurzen Moment das Feld der gesellschaftlichen und geschlechtsspezifischen Rollen öffnet. Sie ergreift die Initiative, und die Begeisterung, ja geradezu Erleichterung, mit der Chefs und Liebhaber ihrem Führungswillen begegnen, täuscht darüber hinweg, dass die alten Hierarchien bald wieder eingerastet sind. Die Männer erkennen ihre Stärke und wissen sie für sich zu nutzen.

Dass sich aber mit der so schnell wieder beendeten Option, nicht an die Geschlechterrollen gebunden zu sein, ein großes Versprechen von Freiheit öffnete, kostet Ostermeiers Inszenierung aus. Vier Schauspieler nur übernehmen alle männlichen und weiblichen Rollen neben Maria und sorgen mit dem Wechsel auf offener Bühne für Slapstick und für einen ständig vielfach gebrochenen Blick: Dieser Mann verhält sich so, wie die Frau, die er eben noch war, das von ihm erwartet.

So wird die „Ehe der Maria Braun“ aus einer Perspektive erzählt, die um das Wissen der späteren Genderdiskussionen gewachsen ist. Dieses Moment des Weiterdrehens im Blick auf die jüngere Geschichte lässt Petras Bühnenerzählung der „Gertrud“ eher vermissen. Sein Ton scheint eine Spur zu unbedarft in der Umsetzung des literarischen Monstertextes.

Friederike Kammer, Sabine Waibel, Regine Zimmermann und Anne Müller sind Gertrud. Die vier Schauspielerinnen stehen für vier Lebensphasen der Figur und suggerieren damit eine Unmittelbarkeit des Erlebens, die im Text viel abgenutzter und zernarbter daherkommt. „Gertrud“ von Einar Schleef ist ein monumentaler Redestrom, ebenso sehr eine Liebeserklärung des Sohnes an die Mutter wie ein Akt der Rache an ihr. Es sind die Gedanken einer alten und unter den körperlichen und sozialen Folgen des Alters schwer leidenden Frau, die vom Ende verletzt auch den eigenen Anfang boshaft kommentiert. Diese Bitternis fehlt der Inszenierung.

So lernt man Gertrud zuerst als begeistertes Sportsmädel kennen, das rennend versucht, der sozialen Einkästelung zu entkommen. Sie steigt in den Nationalsozialismus ein, als wäre er ein großes Sportereignis. Diese Phasen eines noch unreflektierten Lebens pinselt die Aufführung breit aus. Den Wendepunkt aber, der für Gertrud erst in der Nachkriegszeit in der DDR kommt, im vielfachen Intrigieren und Taktieren, geht das Spiel nur noch im Galopp an. Von der alten Gertrud, die wie Hund unter der Vereinsamung ihres Körpers leidet und im Buch auf jeder Seite präsent ist, bleibt nur eine Ahnung. Als ob Petras die uns nicht zumuten wollte.