Auf Plattdeutsch fluchen geht gerade noch

Kenntnisse des Niederdeutschen gehen dramatisch zurück: Nur ein Drittel der Norddeutschen beherrschen noch aktiv das Plattdeutsche. Schreiben können es nur zwei Prozent. Das ergab eine neue Umfrage des Bremer „Instituts för nedderdüütsch Spraak“

„De Linguisten seggt, an‘t Enn vun düsse Jahrhundert is vun de üm un bi 6.000 Spraken up de Eer een Drüddel weg. Un daarmit ok meist allens, wat daar an Kultuur tohöört. Deepdenkern Linguisten seggt, mag ween, dat dat noch wat mehr sünd. Na düsse Ümfraag weet wi, de Welt dreiht sik wieder, un wenn wi daarför wat doot, ok ründ um Platt.“

In diesem kommoden Sprachsound klingt es gar nicht so dramatisch, wie Frerk Möller es meint. Er ist einer von drei Geschäftsführern für dat Institut för nedderdüütsch Spraak (INS) in Bremen, das die erste Erhebung zu Gebrauch und Verbreitung des Niederdeutschen im Norden der Republik aus dem Jahr 1984 aktualisieren wollte und eine „repräsentative“ Umfrage beim Meinungsforschungsinstitut Ipsos in Auftrag gab.

Möllers Resümee: „1984 gaben 35 Prozent der Befragten, entsprechend 5, 6 Millionen Menschen, an, über ,sehr gute‘ und ,gute‘ plattdeutsche Sprachkenntnisse zu verfügen. Tendenziell hat sich die Anzahl derer, die Platt ,sehr gut‘ oder ,gut‘ sprechen können – 2007 waren das 2, 6 Millionen Menschen – mehr als halbiert. Das ist ein dramatischer Rückgang!“ Und weiter: Lediglich 28 Prozent der Norddeutschen könnten heute noch plattdeutsche Texte lesen, gerade mal zwei Prozent diese auch schreiben. Trendmeldung: Vom Aussterben bedroht – gerade weil es vornehmlich Ältere sind, die noch niederdeutsche Sprachkompetenz besitzen.

„Eine Weitergabe von Eltern an die Kinder findet kaum mehr statt“, sagt Möller. Und für Bildungseinrichtungen ist es nur in Hamburg vorgeschrieben, Niederdeutsches in jedem Schuljahr einmal auf den Lehrplan zu setzen. Lediglich in Kiel und Hamburg gibt es noch einen Lehrstuhl fürs Niederdeutsche. Als die wichtigsten Multiplikatoren für die Zweisprachigkeit Norddeutschlands gelten inzwischen die niederdeutschen Laientheatergruppen.

Möller indes erinnert gern an die Blütezeit des Plattdeutschen vom 14. bis in die Mitte 16. Jahrhundert hinein. Damals setzte sich Platt als bürgerliche Schriftsprache für Recht, Handel und Diplomatie durch und beherrschte den gesamten Wirtschaftsraum der Hanse an Nord- und Ostsee. Bis es als „minderwertig“ empfunden und das „aus dem Süden importierte, kalte und herzlose Hochdeutsch angenommen wurde“, so Möller. „Aus der Weltsprache wurde eine Regionalsprache“ – und Niederdeutsch dorthin gedrängt, wo es noch heute lebt: in die Nische des Privaten. „Familienorientierte Begegnungen, informelle Situationen mit der Nachbarschaft, dem Freundeskreis, da sprach und spricht man platt.“ Nicht aber in der Forschung, Justiz, Wirtschaft und Politik. Weswegen auf Platt auch deftig geflucht, aber kein Buch über den Holocaust geschrieben werden könne. „Dafür fehlen die Worte“, so Möller.

Immerhin: 97 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen das Wort „Plattdeutsch“ noch etwas sage. „Die Damen und Herren vom Marketing wären ausgesprochen zufrieden, erreichte der Bekanntheitswert der Marke ,Platt‘ doch Werte wie die bekannte Colamarke, der Papst, Persil oder die Bundeskanzlerin.“ Auch wenn mit „Plattdeutsch“ vornehmlich „heimatlich“ und „humorvoll“ verbunden wird, nicht etwas „deutlich, verständlich, frei heraus sagen“, wie das INS übersetzt.

Im Vergleich der Befragungsgebiete ergibt sich, dass prozentual die meisten Menschen, die Platt „sehr gut/gut“ verstehen und sprechen können, in Schleswig-Holstein zu finden sind. Platz zwei geht an Mecklenburg-Vorpommern, Bremen ist Dritter vor Niedersachsen. Abgeschlagen folgen Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt.

Besteht trotzdem Grund zur Hoffnung? Möller: „Bei Jugendlichen gilt Platt wieder als cool.“ Gerade in Zeiten der Antiglobalisierungsbewegung. „Platt bedeutet Auseinandersetzung mit Zuhause, sich ein Stück regionaler Identität anzueignen und die Kultur der eigenen Heimat verstehen zu wollen, ohne ins Tümelnde abzurutschen“, sagt Möller. Aber es mangele dem Plattdeutschen unter anderem an öffentlicher Präsenz. Also regt Möller an: „Gaht Se man noch‘n paar Mal na den Markt hen, lustert Se, wat dat daar noch Platt gifft, snackt Se ‘n beten Platt mit de Verköpers. Villicht finnt Se ok ‘n paar niege Wöör, de Se nich wennt sünd – dat wiest avers, dat de Spraak leevt.“ JENS FISCHER